Tunnel - 02 - Abgrund
Hackfleisch.«
Diese Drohung übte die gewünschte Wirkung auf Will aus, der sofort wieder auf den Boden der Tatsachen kam.
»Okay, okay, ich werde ja mitkommen, aber ihr solltet euch in Acht nehmen. Legt euch ja nicht mit uns an oder …« Will verstummte. Ihm wurde bewusst, dass er sich schon ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt hatte und nun besser den Mund hielt. Verdrossen setzte er sich wieder in Bewegung und stieß dabei gegen Chester, der seinem Freund mit zunehmender Verwirrung zugehört hatte.
21
»Und im Buch der Katastrophen steht geschrieben, dass das Volk aus der Arche Erde emporsteigen und an seinen rechtmäßigen Platz zurückkehren wird, wenn die gottlose Sintflut sich zurückgezogen hat. Dann wird das Volk erneut die unbestellten Felder bestellen, die Städte wieder aufbauen, die dem Boden gleichgemacht wurden, und das Ödland mit seinem reinen Samen füllen. So steht es geschrieben und so wird es geschehen«, dröhnte der Styx-Priester.
In der Enge des kleinen, steinernen Raums in der Garnison ragte er turmhoch über Sarahs kniender Gestalt auf. Seine glühenden Augen, seine krallenartigen, ruckartig die Luft durchbohrenden Finger und der schwarze Umhang ließen ihn wie eine schreckliche Heimsuchung, eine furchtbare Strafe Gottes erscheinen.
Sein Umhang öffnete sich und umflatterte seinen hageren Körper, als er näher auf Sarah zutrat, die rechte Hand zur Decke gestreckt, während die linke auf den Boden zeigte. »Wie im Himmel, so auch unter Erden«, krächzte er mit dünner Stimme. »Amen.«
»Amen«, wiederholte Sarah.
»Der Herr sei mit dir bei allem, was du im Namen der Kolonie tust.« Plötzlich streckte er die Hände aus, packte Sarahs Kopf und presste seine Daumen in die geisterbleiche Haut ihrer Stirn … so fest, dass zwei rote Male zurückblieben, nachdem er ihren Kopf schließlich freigegeben hatte und einen Schritt zurückgetreten war.
Dann raffte er seinen schwarzen Umhang und eilte aus dem Raum, wobei er die Tür weit offen ließ.
Mit gesenktem Kopf kniete Sarah weiterhin auf dem Boden, bis sie aus dem Gang vor dem Raum ein unterdrücktes Hüsteln hörte. Als sie aufsah, entdeckte sie Joseph, der einen Teller mit einem weißen Tuch in den riesigen Händen hielt.
»Ein Segen, was?«
Sarah nickte.
»Ich will ja nicht stören, aber meine Mutter hat das hier extra für dich gemacht. Etwas Süßes.«
»Bring es lieber schnell rein – ich glaube nicht, dass Dr. Doom so was gutheißen würde«, erwiderte Sarah.
»Nein«, pflichtete Joseph ihr bei, trat hastig in den Raum und schloss die Tür hinter sich. Dann stand er einen Moment verlegen herum, als wüsste er nicht mehr, weshalb er überhaupt hergekommen war.
»Warum setzt du dich nicht?«, fragte Sarah, erhob sich und ging zu ihrem Bettzeug auf dem Boden.
Nachdem Joseph sich neben ihr niedergelassen hatte, lüpfte er das dünne Musselintuch, unter dem mehrere Gebäckstücke zum Vorschein kamen. Die karamellbraune Zuckerglasur hob sich deutlich von dem grauen Gebäck aus fasrigem Pilzteig ab, der in der Kolonie zum Backen verwendet wurde. Stolz reichte er Sarah den Teller.
»Ah, Backwerk« ,lachte sie leise in sich hinein, als sie die große Ähnlichkeit des Gebäcks mit den zwar formlosen, aber dafür umso köstlicheren kleinen Kuchen bemerkte, die ihre Mutter immer zum Sonntagstee gebacken hatte. Sarah nahm sich ein Gebäckstück und knabberte ohne großes Interesse daran herum. »Sie sind einfach wundervoll. Bitte richte deiner Mutter meinen Dank aus – ich erinnere mich noch ziemlich gut an sie.«
»Sie lässt dich herzlich grüßen«, sagte Joseph. »Dieses Jahr wird sie achtzig und …« Im nächsten Moment unterbrach er sich atemlos, als hätte er all seine Kräfte gesammelt, um das zu sagen, was er wirklich sagen wollte. »Sarah, darf ich dich etwas fragen?«
»Natürlich … was immer du willst«, erwiderte sie und sah ihn aufmerksam an.
»Wenn du das erledigt hast, was sie von dir verlangen, wirst du dann nach Hause kommen … ich meine, für immer?«
»Hast du überhaupt eine Ahnung, weswegen ich hier bin?«, erwiderte sie und musterte ihn sorgfältig.
Joseph rieb sich das Kinn, als wollte er damit etwas Zeit für eine Antwort gewinnen. »Es steht mir nicht an, solche Dinge zu wissen … aber ich möchte wetten, es hat etwas damit zu tun, was oben in Übergrund vorgeht …«
»Nein, ich bin auf dem Weg in die andere Richtung«, sagte Sarah und neigte den Kopf, um die Tiefen anzudeuten.
»Dann bist
Weitere Kostenlose Bücher