Turils Reise
Lavabrei hoch. Die unverdaulichen Reste verklumpten rasch, im semitransparenten Körper gut sichtbar. Er spuckte sie mit dem Hinterrüssel in eine rasch gegrabene Grube und ließ sie zusieden. »Die Loga-Wanica sind auf Expansion aus. Dabei wissen sie nicht einmal, was sie mit unserer Heimatwelt anfangen sollen. Wir besitzen nichts, das für sie von Interesse ist. Ihr seid seltsame Geschöpfe, ihr Humanes, und es wundert mich, dass ihr trotz eurer selbstzerstörerischen Art so zahlreich im Kahlsack vertreten seid.«
»Ich kann nicht für andere Humanes sprechen«, sagte Pschoim distanziert. Irgendetwas irritierte ihn am Verhalten des älteren Xalifen. Er konnte sein Misstrauen allerdings nicht benennen. »Es steht mir außerdem nicht zu, über irgendjemanden zu urteilen.«
»Ich weiß. Ihr Totengräber seid zu feige, um Position zu beziehen.« Der Mafati namens Drira Tongon klumpte weitere erkaltete Lava-Brocken aus seinem Leib. »Ihr versteckt euch hinter Gesetzen und Vorschriften.«
»Wir sind nicht feige!« Pschoim unterdrückte seine Empörung. »Du hast keine Ahnung, wie oft wir zwischen verfeindeten Völkern vermitteln und Kriege verhindern.«
»Weil man euch dafür bezahlt, und keineswegs aus Überzeugung.« Drira Tongon drehte ihm verächtlich den Hinterleib zu. »Mut bedeutet, für etwas geradezustehen und Dinge zu vertreten, die man für richtig hält, ungeachtet aller Gefahren. Sag mir, welche ethischen Grundsätze du für richtig hältst?«
»Jedes Volk hat zu diesem Thema andere Ansichten«, wich Pschoim mit der Weisheit eines langen und aufregenden Arbeitslebens aus.
»Und welche vertritt dein Volk?«
Pschoim schwieg und dachte nach. Er wusste es nicht. Er hatte viel gesehen und erlebt; richtig und falsch waren Schlagworte, die stets nur in subjektiver Betrachtungsweise einen Sinn besaßen. Die Thanatologen jedoch standen für Objektivität. Eine Aufweichung dieses Standpunktes bedeutete, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr zur Zufriedenheit ihrer Klienten ausüben konnten. Und dann …
»Würdest du uns bitte jetzt alleine lassen, ehrenwerter Mafati? Wir können gerne ein anderes Mal über dieses Thema diskutieren.«
»Selbstverständlich.« Drira Tongon, Vertreter eines überaus friedfertigen Volkes, knickte höflich mit dreien seiner acht Beine zum Abschiedsgruß ein und zog sich aus der angemieteten Wohnhöhle zurück.
»Du kannst dich nun zeigen«, rief Pschoim in den rückwärtigen Bereich des Raumes.
Kakari kam zum Vorschein. Sie näherte sich ihm rückwärtsgehend. Seitdem sie auf Habercain gelandet waren, hatte sie ihn nicht mehr angeblickt, geschweige denn einen der Einheimischen. So entsprach es zwar den Sitten der Thanatologen, doch Pschoim hatte stets geglaubt, dass das Verhältnis zwischen ihnen beiden etwas Besonderes war
und ihre gegenseitige Zuneigung weit über die Konventionen ihres Volkes hinausreichte.
»Wir werden es heute Abend wieder versuchen«, sagte er. »Bereite dich auf die Begattung vor.«
»Selbstverständlich, Herr.«
»Es wäre mir recht, wenn du für etwas Atmosphäre sorgen könntest«, sagte er.
»Selbstverständlich, Herr«, wiederholte Kakari und schwebte davon. Wie ein Geist, wie ein Kreavatar. Sie strafte ihn mit Desinteresse. Mit dem Entzug jener emotionellen Wärme, die ihm, wie sich Pschoim eingestand, bislang geholfen hatte, sich mit den Grausamkeiten im starren Gefüge ihres Volkes zu arrangieren.
Kakari kehrte nochmals zurück. Wiederum mit jenen seltsamen Rückwärtsschritten, die Pschoim zu hassen gelernt hatte.
»Ich benötige Nachschub«, sagte seine Frau leise, »die Kautium-Derivate gehen mir aus.«
»Schon wieder?«
»Wage es nicht, mir Vorhaltungen zu machen! Du bekommst deinen Willen, Herr, und ich bekomme etwas, das mir mein Los zu ertragen hilft. So lautet die Abmachung.«
Ja, so lautete sie. Schweren Herzens sagte Pschoim: »Ich sehe zu, dass du den Stoff rechtzeitig bekommst.«
»Danke sehr.« Kakari deutete ein Nicken an und verschwand nun endgültig in dem durch einen Scheinnebel abgetrennten hinteren Bereich ihrer Wohnhöhle.
Was habe ich bloß getan?, fragte sich Pschoim entsetzt. Wie konnte es jemals so weit kommen?
41 Jahre zuvor
Am 312. Tag nach ihrer Ankunft auf Habercain registrierte Pschoim plötzliche Unruhe unter den Einwohnern. Vertreter der verschiedenen Lavaburgen trafen sich auf Gracht. Pschoim stellte das Prinzip der Nichteinmischung weit über alle anderen. Trotz seiner Neugierde kümmerte er sich nicht
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