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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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weit aufgerissenen Augen auf den Todesstoß wartete. Pramain war in seiner Angst gefangen, hatte den allgemeinen Alarm noch nicht einmal registriert.
    »Geh mir aus dem Weg!«, herrschte ihn der Domiendramer an. »Mach mit ihm, was du willst! Ist mir einerlei, was mit diesem armseligen Geschöpf geschieht!«
    »Aber …«
    »Lass mich vorbei, du Brechwurz!« Der Hofschranze schubste und stieß, wollte sich den Weg in die fragwürdige Sicherheit des Hofkastells freikämpfen. Turil packte den Domiendramer, verstärkte die Kraft seiner Arme mit Unterstützung der in den Zeremonienmantel eingearbeiteten Schubelemente. Der feiste Widerling hatte ihm nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen und versuchte dennoch, ihn wegzuschubsen, ihn mit Hilfe der Beinwurzeln auszuhebeln. Mit einem Befehl veränderte Turil die Schwerkraftparameter des Arbeitsgewandes. Er stand nun unverrückbar da, fest wie ein Stein.
    Der Hofschranze tobte eine Weile, schrie lautstark um Hilfe, doch die Bewaffneten rührten sich keinen Meter vom Fleck. Sicherlich hatten sie Anweisung, die Stellung am Eingang zum Hofkastell unter allen Umständen zu halten und keinerlei Rücksicht auf die Not von Nachzüglern zu nehmen. Der Hofschranze gab auf. Sein Körper erschlaffte,
die Fingeräste seiner Arme fühlten sich nun wie ausgeleierter Gummi an. Sie zitterten in den stürmischen Windböen, die der Regen mit sich brachte. »Hab Erbarmen, Totengräber!«, bettelte er. »Ich bin der dritte Untersekretär des Vize-Erbblattzählers Domiendrams; ohne mich ist das Volk nichts, gar nichts! Die Verwaltungsbeamten meines Ministeriums benötigen in diesen schweren Zeiten jemanden, der ihnen den Weg zeigt, sie führt …«
    »Ich lasse dich gehen, sobald du mir gesagt hast, was mit dem Götzlichen geschehen soll.«
    »Töte ihn, wie du es vorgesehen hattest, schmeiß ihn in eine tiefe Grube, vergrab ihn - es ist mir einerlei.« Die Signaltrommeln wurden lauter, drängender. Die Gefahr, welcher Art auch immer sie war, kam näher.
    »Ich habe einen Auftrag übernommen. Kein Totengräber hat jemals seine Arbeit abgebrochen.«
    » Hörst du denn nicht?! « Verzweifelt rüttelte der Hofschranze an Turils Mantelkragen. »Wir werden sterben, wenn wir uns nicht augenblicklich in Sicherheit bringen. Du wirst sterben …«
    Schön wär’s, dachte Turil. Laut wiederholte er seine Frage: »Was soll ich mit Pramain machen?«
    »Du bist vollkommen irre, Mann!« Der Domiendramer lachte hysterisch. In einem natürlichen Reflex wandte er seinen von tiefen, spröden Rissen gezeichneten Oberkörper dem Regen zu. »Hast du denn noch immer nicht begriffen, was rings um dich geschieht? Das Alarmsignal - Domiendram wird angegriffen!«
    »Was soll ich mit Pramain machen? Ich benötige eindeutige Angaben.«
    »Nimm ihn mit!«, schrie der Hofschranze, völlig außer sich. Kleinste Brocken zerkauten Blattwerks sprühten aus
seinem Holzmund. »Pramain spielt keine Rolle mehr. Das Zeremoniell wurde unterbrochen, die Hofdamen sind nicht mehr in der Lage, ihre Gebärfreudigkeit unter Beweis zu stellen. Gesetzt den Fall, dass sich der Alarm als unbegründet erweist - ich bete die Götter des Wachstums an, dass es so ist -, dann müssen wir einen neuen König wählen, der wiederum neue Hofdamen auswählt …«
    »Ich soll ihn mitnehmen?« Turil trat einen Schritt zurück. »Das geht nicht! Die GELFAR ist für mich konzipiert, für niemanden sonst.«
    Das Alarmsignal klang nun drängender, intensiver. Der große Vorplatz der Freitreppe war längst geräumt. Die Domiendramer hatten sich in ihre Häuser oder in die vermeintliche Sicherheit unterirdischer Schutzräume zurückgezogen.
    »Du wolltest einen Befehl, oder? Also akzeptiere, was ich von dir verlange. Und jetzt lass mich durch!« Der domiendramische Hofschranze warf sich neuerlich mit aller Kraft gegen Turil, trotz laut knackender Holzgelenke und immer breiter werdenden Rissen in seiner borkigen Haut. Turil ließ ihn passieren. So unangenehm die Anweisungen des Bürokraten auch waren - sie waren zwingend. Solange das Tötungsritual an Pramain nicht erfüllt war, galt sein Auftrag als »schwebend«. Und da das Zeremoniell sinnlos geworden war, oblag es ihm, für die sichere Verwahrung des Götzlichen zu sorgen. So lange, bis der Festakt fortgesetzt und zu einem Ende gebracht werden konnte.
    Also möglicherweise niemals.
    Turil benötigte Zeit und Ruhe, um über das Dilemma nachzudenken, in dem er plötzlich und unerwartet steckte. Er aktivierte das

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