Turils Reise
Nähbox, mit der er jegliche Form von nieder-bis hochenergetischen Erscheinungsformen passgerecht zurechtschneidern konnte, verschwand genauso im Rucksack wie die Beschallungsanlagen, das Duftzentrum, das nicht zum Einsatz gekommen war und all die Geheimen Schwadroneure, die er während der letzten Stunden ausgesandt hatte, um so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Mochten es Datenspeicher gewesen sein, die sie angebohrt und geknackt haben, oder der Tratsch zweier Jugendlicher auf Chalasims Straßen - kein Quäntchen an Information war irrelevant. Die Speicher der Schwadroneure waren
bedauerlicherweise erst zu vier Prozent gefüllt. Dennoch: In einen Gesamtzusammenhang gebracht mochte das Informationskonvolut die allgemeine Stimmung auf Domiendram wiedergeben. Einzelne Stimmen waren ebenso interessant wie Klein-Cluster, die zehn oder hundert Meinungen wiedergaben. Die Unschärfe-Rechner der GELFAR würden sich ausgiebig mit dem Vielleicht, Möglicherweise und Etwas auseinandersetzen, die seine kleinen Spione eingefangen hatten, und hoffentlich ausreichend Informationsstränge entwickeln, die sich später zu barer Münze machen ließen.
Energetische Halteseile schlüpften aus dem Kragen des Zeremonienmantels. Turil dirigierte sie in Position. Mit semimanifesten Krallen bohrten sie sich in jenes Stück Beton, auf dem Pramain der Götzliche lagerte. Der Totengräber blickte auf seine Uhr. Gemäß der Informationen, die ihm die GELFAR nun in regelmäßigen Abständen übermittelte, machten die Kitar keinerlei Anstalten, Domiendram anzugreifen. Sie hingen über dem sechsten Systemplaneten, einem langweiligen Gesteinsbrocken ohne Atmosphäre, und hielten still, als warteten sie auf etwas. Selbst die Aktivitäten des Spähtrupps auf Vilocla waren zum Erliegen gekommen. Seltsamerweise, fügte Turil in Gedanken hinzu. Bislang haben sie stets Eile und eine erschreckende Konsequenz an den Tag gelegt.
Hatte er alles beisammen? Ach ja, das Fünkchen fehlte noch. Das Kunstwesen würde - neben Pramain - das einzige Souvenir bleiben, das er von Domiendram mitnahm. Vielleicht würde er es sogar wiedererwecken. Irgendwann, irgendwo, wenn ihm die Transferzeit zum nächsten Auftrag als zu lange erschien … Turil nahm das kleine Kunstgeschöpf an sich und stopfte es in eine der Manteltaschen. Sorgfältig,
so dass die kleinen Beinchen und Ärmchen, mittlerweile völlig erstarrt, nicht abbrachen. Im Gesicht des sterbenden Fünkchens machte sich Verwirrung breit. Seine Intelligenzleistung nahm sukzessive ab; es gelang ihm immer weniger, auf seine Speicherbänke zuzugreifen und zu »denken«.
Auf dem Vorplatz des Hofkastells war es totenstill geworden. Nur noch vereinzelte Tropfen platschten zu Boden. Irgendwo in der Ferne schrien ein paar Karakähen, und der böige Wind blies kleine Häufchen von Unrat über die Freitreppe. Die Bewaffneten hatten sich in das Innere des Hauptgebäudes zurückgezogen, um die Hofschranzen und Hofdamen in Sicherheit zu bringen.
Sicherheit … Turil schnaubte verächtlich. Vor den Kitar war niemand sicher. Sie würden die Welt im wahrsten Sinne des Wortes zerlegen. So lange, bis nur noch einige wenige Erd-und Metallklumpen übrigblieben, die ziellos durchs All trieben.
Er packte seinen Ranzen, holte Pramain näher zu sich und gab den Befehl an die energetischen Halteseile, die zusätzliche Last hochzuheben. Er holte ein paar Flitterstückchen Kautium aus dem Bleibeutel, wartete, bis das Schwindelgefühl begann und stieg dann die - gedachten - Schritte hoch in die Luft, auf einer nur für ihn sichtbaren Treppe. Das Kautium, ein fast reines, mit dünnsten Goldsträngen vermengtes Eka-Actinoid der Ordnungszahl 203 im traditionellen Periodensystem, reagierte gierig wie immer auf seinen Geist und seinen Intellekt. Flüchtig und instabil wie es war, suchte es Zuflucht bei der höchstentwickelten Organisationseinheit der unmittelbaren Umgebung, um dort ein paar Sekunden der Stabilität zu erfahren, bevor es diffundierte. Es lagerte sich in Turils Gehirn ab und erzeugte einen Juckreiz, der im Inneren der haarigen Ohrmuscheln am
stärksten spürbar war und Turil sagte, dass er bereit für den Versetzungsvorgang war. Er dachte an die GELFAR. An das Reflektorium, seine bevorzugte Aufenthaltssphäre. Das Kautium löste den notwendigen Euphorieschub aus, um seinen Geist zu zwingen, das Unwahrscheinliche als wahrscheinlich und gleich darauf als sicher gelten zu lassen - und sich an Bord der GELFAR zu
Weitere Kostenlose Bücher