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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Helfer ins Spiel. Die Totenbarke war machtbesessen, und viele der Informationen, die sie im Laufe der
letzten Jahre gesammelt hatte, würde sie beim nächsten Großen Thang, der Zusammenkunft aller Totengräber, im Friedenshof Grau abladen.
    Der Friedenshof Grau … so viele Geheimnisse umgaben ihn. Und viele Rätsel der Nekropole würden wohl für alle Zeiten ungelöst bleiben. Turil dachte mit einem Schaudern an die Stadt von Gesternmorgen im Zentrum des Friedenshofes, an die Sonne Nostarum, an Mantalnip …
    Seine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Er musste seine untergeordnete Rolle an Bord der GELFAR vorläufig hinnehmen. Er war Bestandteil einer gut geölten Maschinerie, nicht mehr und nicht weniger. Aber er würde sich weiterhin mit Händen und Füßen gegen die Begehrlichkeiten der Schiffssphäre wehren. Seine Intimsphäre war auf wenige Räumlichkeiten und noch weniger Zeit begrenzt. Es gab kaum etwas, das die GELFAR nicht über ihn und seine Beweggründe wusste. Seine gläserne Existenz war Bestandteil umfangreicher Statistiken und Auswertungen, die darauf abzielten, durch pränatale genetische Umformungen noch effizienter arbeitende Thanatologen zu gestalten und künftige Generationen noch besser, noch umfassender auf das Wohl des Volkes einzuschwören.
    Warum störte er sich eigentlich an diesen Fakten, die ihn bereits ein Leben lang begleiteten?
    Pschoim, sein Vater, hatte ihn als »entartet« bezeichnet, ihn drangsaliert und bei allen sich bietenden Möglichkeiten gedemütigt. Es war ein Wunder, dass er die Tretmühle der jahrelangen Ausbildung körperlich und geistig halbwegs unbeschadet überstanden hatte.
    Turil seufzte. Leise und unauffällig, so, dass ihn die KI nicht neuerlich tadeln konnte. In gewissem Sinne war er ein Revoluzzer. Ein Thanatologe, der noch immer nicht wusste,
wo sein Platz war, und der sich an den Grenzen des Möglichen rieb. Warum dies so war, warum er den grausamen Mechanismen seines Volkes widerstand - auf diese Frage hatte er niemals eine befriedigende Antwort erhalten.
    »Bevor ich mit Pramain spreche und ihm von seinen Zukunftsaussichten erzähle«, sagte er zur GELFAR, »möchte ich die Halle der Erinnerungen aufsuchen.«
    »Meinetwegen«, meinte die KI gönnerhaft. »Kann ja wohl nichts schaden.«
    Turil nahm die Reisekreide zur Hand und zeichnete die Umrisse einer Türe in die Luft. Der energetisch geladene Zeichenstift hinterließ feurige Spuren. Der Sauerstoff im Inneren des »ausgeschnittenen« Kästchens verbrannte, hinterließ eine dunkelblaue Spur des Dunstes, hinter der sich ein scheinbar hellerer Raum befand. Der Totengräber steckte die Reisekreide weg, durchschritt das Tor - und fand sich in der Halle der Erinnerungen wieder.
     
    Es roch seltsam. Nach Spinnweben, nach abgestandenem Wasser, nach stickiger Luft, nach Formalin. Irgendwo flüsterte ein Kind. Ein Kindstoter beziehungsweise dessen Kreavatar, der sein Schicksal trotz der vielen Jahrhunderte hier in Gewahrsam nicht verwunden hatte.
    »Wer möchte mit mir sprechen?«, rief Turil in den weiß getünchten Raum. Seine Stimme hallte mehrfach gebrochen von den Wänden wider.
    Dünne, kaum hörbare Antworten erreichten ihn. Geisterhafte Erscheinungen schwebten durch die Halle. Sie streiften sein Gesicht, hinterließen Ahnungen von Berührungen, die gleich darauf wieder verblassten. Da waren müde und matte Erinnerungen, so alt, dass sie sich kaum noch ihrer Pseudo-Existenz bewusst waren. Andere erschienen
frisch, waren aber von seltsamer Grobheit, die Turil nicht mochte. Fiffinkonlox war eine jener Gestalten, die mit Penetranz an seinem Geist rüttelten und sich unbedingt mit ihm unterhalten wollten. »Nein!«, wies der Thanatologe seinen ehemaligen Klienten energisch ab, »du interessierst mich nicht.«
    Fiffinkonlox war ein überheblicher und aufdringlicher Pseudopodier vom äußersten Rand des Kahlsacks gewesen, ein Erzbeuter, der durch einen glücklichen Zufall zu sagenhaftem Reichtum gelangt war und Turil angesichts seines nahenden Todes die unmöglichsten Aufgaben abverlangt hatte. Als das Sterbezeremoniell endlich zu Fiffinkonlox’ Zufriedenheit gestaltet gewesen war, der Alte seinen letzten Atemzug tat und jedes seiner Podien einem anderen Schwarzen Loch an der Außengrenze des Kahlsacks geopfert wurde - »dadurch steigt die Chance, dass ein Teil von mir unendlich lange weiterlebt«, hatte er gemeint -, stellte sich heraus, dass der Multi-Podier alles Vermögen kurz zuvor in den

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