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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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vermeintlich sicheren Hafen einer Freihandelswelt verschoben hatte.
    Natürlich gelang es Turil dennoch, sein Honorar einzutreiben; das Beziehungsgeflecht, das die Totengräber entwickelt hatten, reichte tief in die Strukturen der Kahlsack-Hochfinanz. Doch es kostete ihn viel Mühe und Geduld; so viel, dass Turils Aufwendungen letztendlich höher gewesen waren als der Ertrag.
    Trotz der widrigen Umstände war der Thanatologe den Usancen seines Volks gefolgt: Er hatte ein Charakterbild von Fiffinkonlox gezogen und es in die Halle der Erinnerungen gebracht. Tausende ektoplasmische Kreavatare hausten mittlerweile hier. Wie Gespenster versteckten sie sich, verbargen sich im Boden, den Decken, den Wandtafeln. Sie nutzten Zwischenräume und Nischen, die auf den ersten
Blick nicht erkennbar waren, um in Isolation über jene Dinge zu reflektieren, die sie zu Lebzeiten getan hatten. Manche waren seit Jahrtausenden nicht mehr aus ihren Verstecken aufgetaucht, andere bettelten seit ebenso langer Zeit darum, einen neuen Körper zu erhalten. Manche hatten sich mit ihrem Schicksal abgefunden, andere kämpften mit aller Verve gegen Turil. Diese Abbilder von Verstorbenen waren seine Gesprächspartner, waren seine … Freunde.
    »Eines Tages wirst du büßen!«, kreischte Fiffinkonlox. Er schlug mit zwei seiner Podien zu, peitschte mit ihnen durch Turils Leib, ohne auch nur irgendetwas zu bewirken. »Du hast meine Söhne um ihr Erbe betrogen, du hast zerstört, was ich so mühsam aufgebaut habe.«
    Turil schnippte mit den Fingern und deutete auf Fiffinkonlox. Der Kreavatar glitt zurück in seinen Verankerungsplatz, um erst wieder hervortreten zu dürfen, wenn der Totengräber es ihm gestattete.
    Er vergaß den Multi-Podier und betrachtete die anderen Versammelten, einen nach dem anderen. Wie graue Schleier hoben sie sich gegen den hellen Hintergrund ab, begierig darauf, von Turil zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Mitunter waren selbst jahrtausendealte Kreavatare gute Unterhalter. Sie wussten von historischen Strukturen, von Pakten und von untergegangenen Zivilisationen zu berichten. Immer wieder ließen sich im Gespräch mit den Kreavataren Parallelen zur Gegenwart ziehen. Das Leben im Kahlsack unterlag gewissen Wiederholungen. Es gab ein Auf und Ab; Amplituden, deren Scheitelwerte nach jeweils mehreren Jahrhunderten erreicht wurden.
    »Ist Kanaisse hier?«, fragte Turil.
    Die Kreavatare blickten sich um, suchten nach der
Schneckenfrau, die seit langer Zeit ihre virtuellen Schleimspuren durch die Halle der Erinnerungen zog.
    »N…nein«, sagte Isolyt im Negativ, während sein Positiv wie immer stumm blieb und den wurmähnlichen Körper in Möbius-Schleifen durch seinen Zwilling wand. »S...sie spielt ein S...spiel, das noch ei…einige Zeit dauern wird.«
    Schade. Kanaisse war ihm stets eine gute, eine mütterliche Ratgeberin gewesen. Doch wenn sie der Spieltrieb erfasste, war jahrelang nicht mit ihr zu rechnen.
    Wer bot sich sonst noch als Gesprächspartner an? Die beiden namenlosen Silikatzen, die sich abwechselnd auffraßen und wieder ausspuckten? Sie ergingen sich in ihren Fresspausen in bestechenden Weisheiten, die ihm oftmals weiterhalfen. Sollte er Xavy das Spinnenbalg aus seinem virtuellen Wassernetz hervorzerren und es zwingen, ihm eine Zukunft zu weissagen, die eigentlich die Vergangenheit war - oder umgekehrt? Das Geschöpf, das ihm in seinem Todeskampf beinahe den vierzig Zentimeter langen Stachel in den Leib gerammt hätte, wusste mit dem Begriff Zeit nur wenig anzufangen, besaß aber die bemerkenswerte Fähigkeit, schicksalhafte Ereignisse zu erkennen.
    Nein. Heute benötigte er keinen Weissager und auch niemanden, der sich in höheren, realitätsfremden Sphären bewegte, sondern ein Wesen, das fest in der Gegenwart verankert war. »Shmau!«, rief Turil, »Shmau Pendrix!«
    Die anwesenden Kreavatare zogen sich enttäuscht zurück - sofern es ihnen Physiognomie, Gestik und Seelenleben erlaubten, Enttäuschung auszudrücken.
    Ein Humanes in den besten Jahren tauchte aus dem Nichts auf. Er kam Turil mit gesenktem Kopf entgegen. Der Admiral war nicht nur ein charmanter Plauderer, sondern auch ein kluger Kopf.

    »Kann ich dir helfen?«, fragte der Kreavatar mit seiner brüchigen Stimme. »Aber fass dich bitte kurz. Ich bin müde …«
    »Du bist immer müde«, meinte Turil. »Als ich deine Geistesmatrize zog, warst du gerade im Begriff gewesen einzuschlafen. Du erinnerst dich?«
    »Selbstverständlich.« Der Humanes

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