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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Turil die GELFAR.
    »Ich kann zwar keine Taster spüren, aber ich vermute, dass sie mich erfasst haben.«
    Der Totengräber drängte die körpergroße Abbildung des Krähenfuß-Schiffs in jene Ortungsblase zurück, aus der er sie gezogen hatte. Er rief sich die wichtigsten Grunddaten der GELFAR in Erinnerung. Geschwindigkeit war an Bord seiner Schiffssphäre ein peripheres Thema. Viel wichtiger war, dass er das Schiffskind Momed davon überzeugte, sich auf einen Risikosprung vorzubereiten. Eine schwierige Aufgabe angesichts der Wankelmütigkeit seines infantilen Partners.
    »Also gut«, sagte Turil. »Wir ziehen uns weitere zwei Lichtmonate zurück. Momed soll sich für einen Notsprung bereithalten.«
    »Das macht er ohnehin seit mehreren Minuten«, sagte die GELFAR mit sanftem Vorwurf in der Stimme.
    »Du musst ihn unbedingt bei der Stange halten«, schärfte Turil dem Schiffsgehirn ein. »Eine einzige Unachtsamkeit, ein Aussetzer von ein paar Sekunden - und es ist um uns geschehen.«
    Die GELFAR würdigte ihn keiner weiteren Entgegnung. Sie fühlte sich in ihrer Ehre gekränkt, wie so oft.
    »Ich werde mich zurückziehen und nachdenken«, sagte Turil. »Du störst mich nur dann, wenn die Kitar ihre Position verändern.«
    »Selbstverständlich.«
    Turil klappte die Ortungspfanne zusammen. Ein wenig enttäuscht vielleicht, aber auch heilfroh darüber, dass sich der Fokus der Kitar nicht auf ihn richtete. Er verließ seinen Kommandoplatz, veränderte mit Hilfe der Reisekreide seine Umgebung und fand sich unvermittelt im eigentlichen Reflektorium wieder. Hier fühlte er sich wohl, hier fühlte er sich zu Hause.

    Seltsam. Warum erinnerte er sich ausgerechnet jetzt an die Prophezeiung des Refraktos, der in den Katakomben der Stadt Chalasim Zuflucht gefunden hatte? »Du wirst in naher Zukunft Entscheidungen treffen müssen«, hatte er gesagt, »die dein ganzes Volk zu verschlingen drohen. Du solltest dich fürchten, Totengräber, fürchten …«
     
    Turil dimmte das Licht herunter und sah sich in der Trauerhalle um. Dies war der zentrale Bereich der GELFAR, in dem er große Teile seines bisherigen Lebens verbracht hatte. In unzähligen Wandnischen ruhten Totenfetische und warteten auf den Moment ihres Einsatzes, der vielleicht niemals kommen würde.
    Gestickte Pentagramme und bronzene Kreuze lagen hinter schützendem Bioglas neben ausgetrockneten Schuf-Schädeln, deren Augäpfel sich noch jahrhundertelang bewegen würden. Des Weiteren diakustische Mundlappen, kurz vor dem Start der GELFAR auf Stasix-3 geerntet. Sie würden im unwahrscheinlichen Fall des Todes eines Schwarzgottes wimmernd ansprechen und ihm das Geschäft seines Lebens ermöglichen. Brinzische Glockenspiele, so filigran und kunstvoll geschmiedet, dass ihr Grabklang die Herzen des unbarmherzigsten Despoten erweichte. Ein unförmiger Batzen pastischen Kerzenwachses, in ein transparentes tönernes Gefäß gestopft. Das nahezu unbezahlbare Rohmaterial leuchtete bei fachgerechter Verarbeitung und mit Hilfe eines zentrischen Hautdochtes so hell, dass die Bewohner eines ganzen Planeten Licht und Wärme bis an ihr Lebensende spürten. Ledrige Hautfetzen. Schrumpfkopfrasseln. Hydromechanische Nekronadeln. Goldstücke, die in ausgeräumte Augenhöhlen gelegt wurden. Tätowierungsmuster, die innere Organe
Verstorbener zum Leuchten brachten. Fetische, unheilverkündende Todesvögel, unrhythmisch gurrende Lamentierhälse, tränenverspritzendes Trockenvolk, das mit Wasser zum Leben erweckt werden konnte …
    Die Ausstattung seiner Totenbarke war aus gutem Grund überkomplett. Es ging nicht an, dass ein Totengräber einen Klienten ohne die gewünschte zeremonielle Ausrichtung ins Reich des Nichtlebendigen überwies. Hier fand Turil Frieden, hier fand er Geborgenheit. All diese Fetische waren Zeichen für den Respekt, den die meisten Völker des Kahlsacks angesichts des Todes empfanden. Und er , Meister Turil, stand für den Schnitzer, für Gevatter Hein, Makribus Augenfraß, den Hauer, den Stinkenden Schlagstrumpf, die Syblischen Sechs, das Heer der Stille, den Borkenfraß, den Endgültigen Absturz …
    Turil und seinesgleichen waren die fleischgewordene Erinnerung an die Vergänglichkeit allen Seins. Ihre Ausstrahlung, ihr Benehmen, ja, selbst ihr Aussehen riefen in anderen Lebewesen längst überwunden geglaubtes Unwohlsein wach. Turil wusste das nur zu gut, und er verstand es umso besser, auf der emotionalen Klaviatur seiner Klienten zu spielen. Er bot ihnen jenes

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