Turils Reise
lächelte und entblößte ein Gebiss mit spitz zugeschliffenen Zähnen. »Es handelt sich schließlich um meine letzte, meine frischeste Erinnerung.«
Shmau Pendrix war ein Glanzstück seiner Thanatologen-Karriere. Unter den Augen der Offiziellen der Welt Logum, die den Admiral hinrichten ließen, hatte Turil seine Virtualbildner ausschwärmen lassen, einen Teil von ihnen ins Geisteszentrum des sterbenden Admirals eingeschleust und die Erinnerungen des Soldaten fast lückenlos abgespeichert.
Turil verwies die anderen Kreavatare endgültig auf ihre Verankerungsplätze und bedeutete Pendrix, ihm in eine Unterhaltungsnische zu folgen. Das Weiß der Halle veränderte sich auf seinen Wink hin, wurde zu einem Mischmasch aus Komplementärfarben, die sich nach den geringsten Veränderungen seiner Laune richteten und wunderschöne, beruhigende Bildkompositionen herbeizauberten. Eine Liegecouch schob sich aus dem Untergrund, Turil ließ sich darauf nieder.
»Was gibt es denn schon wieder, Totengräber?«, fragte Shmau Pendrix. »Wir hatten in letzter Zeit recht häufig das Vergnügen.«
»Magst du unsere Plaudereien etwa nicht?«
Der Humanes lachte, rau und rollend. »Mit einem Lebenden zu reden, hat seine Vorteile. Wir Kreavatare gehorchen
gewissen Schemata. Nach einer Weile, vielleicht nach zehn oder fünfzehn Jahren, wiederholen sich unsere Unterhaltungen.«
»Und was ist mit den Neuankömmlingen? Erweitern sie denn nicht euer Repertoire?« Das Thema interessierte Turil nur leidlich. Doch er wusste von früheren Gelegenheiten, dass Shmau ein wenig Zeit benötigte, bevor er auf Touren kam.
»Wenn’s denn so wäre! In letzter Zeit hast du - verzeih mir die Kritik - nur farblose Charaktere in die Halle der Erinnerungen eingespeist. Meist schwerreiche Hohlköpfe oder degenerierte Vertreter uralter Adelslinien, die es nicht wert sind, dass man auch nur eine Silbe an sie verliert.«
»Verzeih mir«, sagte Turil und deutete ein Kopfnicken an. »Ich kann mir meine Klienten nicht immer aussuchen.«
»Ich weiß, ich weiß …« Shmau Pendrix seufzte. »Also gut: Wobei kann ich dir helfen?«
»Ich musste einen Lebenden an Bord nehmen.«
»Und?«
»Ich hatte niemals zuvor einen Lebenden, der kein Totengräber ist, an Bord der GELFAR. Der Kontakt mit meinen Klienten erfolgt stets in deren heimatlichen Gefilden oder auf gemieteten Schauplätzen. Ich bespreche mit ihnen das Notwendige und bereite sie auf ihr Schicksal vor. Ich nehme ihnen ihre Ängste, bestärke sie, rede ihnen gut zu. Die meisten von ihnen stehen knapp vor dem Tod oder müssen behutsam ins Reich der Dunkelheit geführt werden. Doch nun … ich fürchte mich davor, Pramain gegen überzutreten. Er ist anders, so … so … vital.«
»Warum tötest du deinen Gast denn nicht? Hast du moralische Bedenken?« Shmau lachte.
»Ich bin Pramain und dem Volk der Domiendramer verpflichtet.
Der Auftrag befindet sich in der Schwebe. Solange sich dieser Zustand nicht ändert, darf und muss der Götzliche weiterleben.«
»Ich verstehe.« Der Admiral stützte sein Kinn auf die Hand. »Dann rate ich dir, diese außergewöhnliche Gelegenheit als eine Chance zu sehen, deinem Alltagstrott zu entkommen und zu lernen! Diese taube Nuss, die sich Schiffs-Zerebral nennt, setzt doch alles daran, dich zu unterdrück…«
Die Stimme verwehte, das ohnehin nur schleierhaft vorhandene Abbild des Admirals drohte endgültig zu zerfasern. Die GELFAR zensierte den Kreavatar, gab ihm eine deutlich spürbare Warnung. Hielt Shmau Pendrix sein Mundwerk nicht im Zaum, würde er wochenlang an seinem Verankerungspunkt geerdet bleiben.
Turil aktivierte einen weiteren Aggressionshemmer. Die Situation an Bord der GELFAR erschien ihm von Tag zu Tag unerträglicher. Rede-und Denkfreiheit waren Fremdworte für die Schiffs-KI, ihre virtuellen Hände griffen tief in die Strukturen seines Lebens ein.
Seines. Beinahe hätte er aufgelacht. Der Einfluss, den er auf die Schiffssphäre ausübte, war weitaus geringer als jener, den die KI besaß.
»Chch …«, röchelte der Admiral. Er griff sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Hals und spuckte virtuellen Schleim auf den Boden. Auch Kreavatare hatten Empfindungen. Erinnerungen an Empfindungen.
»Geht es wieder?«
»Einigermaßen.« Shmau Pendrix setzte sich neben ihn. »Ich muss wohl etwas vorsichtiger sein.«
»Ja.«
Der Admiral erholte sich rasch, »Leben« kehrte in seine
graublauen Augen zurück. »Du weißt also nicht, was du mit dem Lebenden
Weitere Kostenlose Bücher