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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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morbide Schauspiel, das sie verabscheuten und gleichzeitig anziehend fanden. Er, der Totengräber, erledigte gegen bare Münze die Drecksarbeit für jene, die sich fürchteten. Er war ein Vehikel. Ein Wesen, das mit seinen toten Begleitern die Brücken in die Unwiderruflichkeit überquerte - und alleine zurückkehrte.
    Der Totengräber setzte sich und stimmte ein Konzentrationsmantra an. Die »Ödnis-Ode«, deren Pathos nicht in Worten, sondern in Gedanken gepackt war und von einem Totengräber an seinen jeweiligen Nachfolger weitergegeben wurde. Auch wenn Turil seinen Vater Pschoim hasste
und verachtete - für das Reservoir an Gedankenstückchen, die er ihn gelehrt hatte, musste er dankbar sein.
    Der Gesang samt den behutsam eingestreuten Zwischentönen strengte gehörig an. Länger als fünf Minuten hielt er den Spagat zwischen chromatischen Tonfolgen und gedachten, komplex in sich verschachtelten Worten selten durch. Doch sobald er sich löste, tief durchatmete und wieder auf seine Aufgaben fokussierte, machte sich ein Gefühl der Erleichterung, der Entspannung in ihm breit. Alles erschien ihm dann sphärisch leicht, die Struktur der Dinge zeigte sich ihm deutlich und klar. Da war kein Zaudern mehr, kein Unwohlsein. Er wusste ganz genau, wie er weiter vorzugehen hatte, um seinen Pflichten nachzukommen.
    Turil brach die Ödnis-Ode ab und atmete tief durch. Ja. Das Mantra tat seine Wirkung, wärmte ihm Leib und Seele.
    »Emotionelle Beruhigung«, hörte er Licht sagen. Sie lehnte weit, weit entfernt an einer einzelnen Säule, die ins Weltall hineinreichte und kein Ende zu nehmen schien.
    »Innere Stabilität in ausreichendem Grad erreicht«, ergänzte Schatten, der wie aus dem Nichts kommend neben seine … Kollegin trat. Trotz der großen Entfernung zu den beiden meinte Turil jede Falte im Gesicht der beiden Helfer zu erkennen. Die GELFAR erzeugte Illusionen, Täuschungen, Irrealitäten, deren Wirkung man sich kaum entziehen konnte. Entweder man akzeptierte, dass an Bord der Schiffssphäre buchstäblich alles möglich war - oder man zog sich in die Sicherheit des Irrsinns zurück, wie es viele Totengräber taten.
    Licht und Schatten traten näher an die virtuelle Klippe zum Weltall. Lavaströme umspülten sie und brachten ihre Beine zum Schmelzen. Beide lächelten. Das rot glühende Material ergoss sich über den Rand der Lebenssphäre GELFAR
ins Nichts des Vakuums, riss Turils beide Begleiter - scheinbar - mit sich und loderte ein letztes Mal auf, bevor es mit der Dunkelheit verschmolz. Licht und Schatten verschwanden; ihre Avatare würden wiedergeboren werden und ihn zu gegebener Zeit mit ihren unerträglichen Belehrungen neuerlich zu quälen wissen.
    Turil erhob sich und streckte die Glieder durch. Die Schmerzen in Beinen und Armen ließen nach. In seinen jungen Jahren, bald nach der Übernahme der GELFAR, hatte er sich bemüht, die vielfältigen Geheimnisse der Totenbarke zu ergründen, das Sein hinter dem Schein zu finden. Er war schmählich gescheitert. Die Schiffssphäre hatte ihn durch einen Albtraum an Irrealitäten gejagt, hatte ein grausames Spiel mit ihm gespielt. Bis er irgendwo, irgendwann zu sich gekommen war. Verwundet und verletzt, am Rande des Irrsinns wandelnd. Licht und Schatten hatten ihn in Empfang genommen und in einem mühseligen, mehrere Wochen dauernden Prozess wieder aufgepäppelt.
    Immerhin wusste er seitdem, dass die GELFAR aus einer Zeit vor der Zeit stammte und von mehreren seiner Vorgänger in Aussehen und Form verändert worden war. Nicht immer von den Größten seiner Ahnenreihe, so wusste Turil. Khamil, sein Urgroßonkel, hatte nicht umsonst den Beinamen »der Wahnsinnige« getragen, und über die abartigen Untaten von Großcousin Simbion munkelte man noch heute hinter vorgehaltener Hand in den Friedenshöfen, den drei Ankerplätzen seines Volkes.
    Klienten hatten niemals die Verrücktheiten der beiden Totengräber zu spüren bekommen, sehr wohl aber Turils Verwandte und deren Anvertraute. Die Symbiose zwischen Totenbarke und Totengräber erforderte große Opfer, die nicht jedermann einzugehen bereit war. Khamil und
Simbion hatten deutliche Spuren in der Totenbarke hinterlassen. Dank ihrer irren, irrealen Vorstellungskraft waren Veränderungen in der … Psyche der Sphäre vor sich gegangen. Solche, die nachwirkten und mitunter große Belastungen mit sich brachten. Turil hütete sich tunlichst, das Innenleben der GELFAR einer weiteren Inspektion zu unterziehen. Er nahm viele Dinge

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