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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Härchen.
    Agonphyl wandte sich einem Holo-Schirm zu. Bunte Schlieren, die Turil nicht deuten konnte, zogen wie vom Wind getriebene Wolken durch den Kubus. »Du bist trotz deiner Jugend schon tiefgreifend vernetzt«, sagte der Händler nachdenklich. »Während ich deine körperspezifischen Daten bestimme und analysiere, was es braucht, um dich wieder zu jenem Wesen zu machen, das du einmal warst, möchte ich, dass du dich konzentrierst. Denk an ein einschneidendes Ereignis während des letzten halben Jahres. Irgendetwas, das besonders starke Emotionen hervorruft. Schmerz, Freude, Leid …«
    »Das sind Empfindungen, die wir Totengräber nicht fühlen«, sagte Turil reflexartig.
    »Hör auf mit dieser Selbstverleugnung!«, zischte Agonphyl, »und tu, was ich von dir verlange!« Seine Krallenfinger glitten eilig über und durch den Holo-Schirm. »Ich brauche einen Ankerpunkt «, fuhr er geheimnisvoll fort, »sonst kann ich nicht weiterarbeiten.«
    Turil schloss die Augen. Da gab es kein langes Nachdenken; schon nach wenigen Momenten erinnerte er sich daran, was Pschoim ihm zur Zeit der Erst-Approbation angetan hatte …
     
    Zwanzig Stunden Schichtunterricht in Praktischer Körperkunde brachten ihn an den Rand der Erschöpfung. All die aufgeschnittenen Übungsleichen, der Gestank nach Verwesung und nach entweichenden Körpergasen, der Anblick unzähliger
Fliegen, Würmer und anderer Kriechinsekten, die über verfaulendes Fleisch herfielen … Dann die überraschende Prüfung, unter den strengen Blicken des Vaters. Turil tat sein Bestes - und scheiterte dennoch an den Vorgaben. Er verfehlte das Prüfungsziel um mehr als zehn Prozentpunkte und wurde von der unbestechlichen GELFAR auf den Status eines Lehrlings zurückgestuft.
    Pschoim fletschte die Kauleisten, als wollte er sagen: »Ich hab es gewusst!« Dann zog er das Schlagmesser aus seinem Zeremonienmantel und ließ es über seinen Rücken, seine Beine, seine Arme tanzen, prügelte auf ihn ein und machte ihm dabei mit nüchterner Stimme Vorhaltungen, demütigte ihn, beschimpfte ihn als Versager. Turil nahm die Schmerzen hin, so wie immer. Doch es war so schwer, dem Älteren in die Augen blicken zu müssen, in diese schrecklich ausdruckslosen Augen, in denen sich keinerlei Gefühl zeigte … es verschreckte und ängstigte ihn.
    Nachdem Pschoim müde geworden war, verkroch sich Turil in seinem Ruhezimmer. Stunden-und tagelang blieb er dort, setzte sich teilnahmslos in eine Ecke und wartete in fast vollkommener Dunkelheit darauf, dass die Wunden verheilten, wobei er auch noch zwischendurch von der GELFAR verhöhnt wurde. Am vierten Tag öffnete sich die Tür. Pschoim betrat den Raum, begutachtete sorgfältig den Heilungsprozess der Narben - und schlug neuerlich auf ihn ein. »Ich werde dir deine Narreteien austreiben!«, rief er ein ums andere Mal. »Du bist mein Eigentum, und du wirst so funktionieren, wie ich es wünsche! Eines Tages wirst du mein Erbe an Bord der GELFAR antreten. Bis dahin musst du lernen, dass es keine Fehler gibt. Niemals! Es ist eines Totengräbers unwürdig zu versagen. Hast du mich verstanden?«
    Turil bat und bettelte um Erbarmen, um eine Erholungspause,
um diesen Wust an Schmerzen und Verwirrung zu verarbeiten und wieder zu sich zu kommen. Vergeblich. Jedes Wort, das er sagte, war ein Wort zu viel. Pschoim hieb noch intensiver auf ihn ein.
    Schläge. Schlaf. Weiterer Schmerz. Gespräche, Demütigungen und Vorhaltungen. Immer wieder. Tag für Tag, Nacht für Nacht, mit nur kurzen Unterbrechungen. Bis Turil alles einerlei wurde, bis das eine so gut war wie das andere. Ein Einheitsbrei an Empfindungen hüllte ihn ein und machte ihn gleichgültig gegenüber jeglichen Einflüssen von außen …
    »Das ist sehr bedauerlich«, riss ihn Agonphyls Stimme aus den Erinnerungen. »Bei dir war es wohl noch schlimmer als bei deinem Kollegen.«
    Turil schreckte hoch, wollte aufspringen, doch die Beine versagten ihm den Dienst. »Hast du … habe ich laut gesprochen?«, fragte er stotternd. Winzige Lichter tanzten vor ihm auf und ab. Ihr Schein blendete ihn, sorgte für weitere Verwirrung.
    »Ich habe dich geeicht und für eine Verankerung deiner Erinnerungen gesorgt. Durch dieses Tor kann ich nun in deinen Geist vordringen und mir jene Erinnerungen holen, die ich benötige.« Sein Gefieder war halb aufgerichtet, Interesse zeigte sich in dessen Farbgebung.
    »Ich trete vom Vertrag zurück«, ächzte Turil. »Ich will das nicht mehr länger ertragen.«
    »Du

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