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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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hast das Schlimmste bereits hinter dir, junger Totengräber. Und während ich mir meine Belohnung hole, mache ich mich daran, meinen Teil der Abmachung zu erfüllen. Sieh an dir hinab.«
    Turil bewegte den Kopf. Es schmerzte, als hätte er einen Muskelkater. Langsam senkte er den Blick. Er saß nach wie vor auf der Bank. Mehrere breite Riemen zogen
sich über seine Oberschenkel und fixierten ihn. Die feinen Härchen, die er zuvor wahrgenommen hatte, hatten sich durch Hose und Hemd gebohrt. Sie berührten und durchdrangen seinen Körper. Der Anblick erschreckte ihn, ließ ihn einen Schrei des Entsetzens ausstoßen.
    Schrei?! Entsetzen?!
    Seit geraumer Zeit war er nicht mehr dazu in der Lage gewesen, seine Emotionen derart heftig zu artikulieren. Und jetzt, auf einmal …
    »Es geht voran«, sagte der Händler. »Es treiben mehr als dreihundert Fremdkörper durch deinen Leib und beeinflussen dich. Ich muss sie mühselig isolieren und abtöten. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich dich zur Gänze gesäubert habe.«
    »Ich muss zurück. Zur GELFAR. Zu Vater.«
    »Du wolltest deine Leute verlassen. Du erinnerst dich?«
    »Da war ich nicht ich selbst!«, rief Turil. Seine Kräfte kehrten zurück. Er warf den Kopf hin und her, spürte dabei Dutzende Fäden, die sich durch seine Gesichtshaut gebohrt hatten und ihm nur zögerlich Bewegungsfreiheit gewährten. »Du hast mich verwirrt, mich beeinflusst!«
    Ein schleimiges Lächeln zeigte sich im Gesicht des - scheinbaren - Westalen. »Zugegeben; aber sobald ich meine Arbeit beendet habe, wirst du mir vor Dankbarkeit die Nase abschlecken und ein weiteres Jahr deines Lebens schenken. Hab ein wenig Geduld.«
    Geduld? So, wie Pschoim mit ihm Geduld gehabt hatte?
    »Du bist ein Krüppel«, fuhr Agonphyl fort. »Dein Herr und Vater hat nicht nur deinen Geist manipuliert, sondern auch tiefgreifende Veränderungen an deinem Körper vorgenommen.« Er hielt inne, betrachtete mit weit geöffnetem Mund jene Bilder, Symbole und Schriftzeichen, die im
Holo-Schirm auftauchten. »Da stimmt was nicht«, sagte der Händler mit unbehaglicher Stimme, »da stimmt etwas ganz und gar nicht …«
    Weißes Licht flackerte stroboskopartig im Zelt auf. Agonphyl vollführte einige Handbewegungen, die Härchen zogen sich augenblicklich aus Turils Körper zurück.
    »Was ist los?«, fragte er verwirrt.
    »Alarm. Bankin wird angegriffen. Es ist besser, du verschwindest. So rasch wie möglich.« Agonphyl ließ ihn ste hen und schwebte mit hektischem Flügelschlag aus dem Zelt. Ein mechanisches Knirschen ertönte, die Wände und die Decke rückten mit erschreckender Geschwindigkeit näher.
    »Was geschieht hier?« Turil stand auf. Teile seines Körpers fühlten sich taub an, er konnte sich kaum auf den Beinen halten.
    »Du musst zu deinem Vater zurückkehren«, hörte er die Stimme des Händlers. »Dir bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich kann dir nicht helfen.«
    Die Decke rückte näher, die Einrichtung des Zeltes schrumpfte, als ließe jemand Luft aus all den Tischen, Stühlen und sonstigen Möbeln. Selbst die in Stasis gefangene Humanes-Attrappe wurde vor Turils Augen kleiner und kleiner. Rasch raffte der angehende Thanatologe Rucksack und Zeremonienmantel an sich und verließ auf steifen Beinen das Zelt. Er musste sich kleinmachen, um durch den Eingang nach draußen zu gelangen. Der Stand Agonphyls verlor rasend schnell an Substanz. Der Flimmerbaldachin wirkte bald schrumpelig, Glanz und Verlockungskraft des Basars waren dahin.
    »Was ist mit unserer Abmachung?«, fragte Turil den hektisch umherflatternden Händler.

    »Sie gilt nicht mehr.« Die Facettenaugen Agonphyls zeigten ein merkwürdiges Glitzern, das Gefieder wirkte struppig und verfilzt. »Verschwinde, Junge! Diese Welt ist dem Untergang geweiht. Die Kitar greifen an! Verstehst du?«
    Die Kitar. Die Unbekannten.
    Erst jetzt fühlte Turil eine Meldung, die der Zeremonienmantel über die Kontakte im Schulterbereich an ihn weitergab. Lohender Schmerz machte ihn auf die Dringlichkeit der Nachricht aufmerksam. Wie lange schon hatte er sie ignoriert, weil er auf seine eigene Befindlichkeit fokussiert war?
    Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Botschaft Pschoims. »In fünf Minuten bist du an Bord«, hatte er dem Mantel übermittelt, »ich warte keinen Moment länger.«
    Sein Vater würde es nicht wagen, ihn auf Bankin zurückzulassen. Oder doch? Der ältliche Totengräber benötigte einen Nachfolger. Turil war der einzige legitime

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