Turils Reise
schrumpelig wurden - und schließlich im Licht vergingen. Die Helligkeit
löste sie auf, und Dreidreiblau begriff, dass eine außerordentlich hohe Strahlendosis für sein langsames Sterben verantwortlich war.
Noch wollte er sein nahendes Ende nicht akzeptieren. Ein Rest an Widerstandskraft ließ ihn weiterkriechen und weiterkrabbeln, ins Unbekannte hinein. Wenn er es nur schaffte, dieser grässlichen Fläche zu entkommen … Er musste jenen Weg finden, den auch sein verstorbener Kampfsohn genommen hatte.
Dreidreiblau drehte sich um. Er hatte seine Nachkommen längst aus den Augen verloren. Nur noch grelles Weiß umgab ihn - und ein merkwürdiges Raunen, allmählich lauter werdend, das möglicherweise eine Art Sprache darstellte.
Der Boden unter ihm gab ein wenig nach. Der Clan-Primus besaß einen ausgezeichneten Gleichgewichtssinn. Er bewegte sich nach »unten«, auch wenn ihm seine restlichen Sinne etwas ganz anderes vorgaukeln wollten. Dreidreiblau geriet ins Rutschen. Instinktiv setzte er die hinteren Beinpaare ein und stemmte sich gegen den immer stärker werdenden Sog. Doch er war zu schwach geworden. Er kippte vornüber. Sein Hinterleib, ohnehin fast vollständig chitinös, brach an der vorletzten Lamellenleiste ab. Der Schmerz erschien ihm marginal angesichts aller anderen Beschwerden, die ihn seit dem Betreten dieses verfluchten Raumschiffs überkommen hatten. Haltlos rutschte Dreidreiblau hinab - oder hinauf -, durch einen Lichttunnel, dessen »Farbe« sich allmählich wandelte. Das monochromatische Weiß zerfaserte. Der Clan-Primus sackte entlang dreier sich ineinanderwindender, immer breiter werdender Farbstränge ab. Rot, Grün und seine Familienfarbe Blau durchdrangen einander und bildeten kaleidoskopartige Muster, je schneller er diesen merkwürdigen Gang entlangglitt.
Dreidreiblaus Beinpaare wie auch die Handlungsarme brachen ab, als wären sie aus morschem Holz. Doch das spielte keine Rolle mehr. Er fühlte, dass er das Ende seiner Reise erreichte. Er würde Antworten bekommen, möglicherweise sogar den Zerstörungsdrang der Kitar verstehen lernen. Er badete in Violett, Aquamarin, Türkis, Karmesinrot, Rosa, Magenta und Orange. Alles rings um ihn war aufregend bunt. Nie gekannte Wärme erfüllte Dreidreiblau, während er durch dieses unglaubliche Farbenspiel rutschte.
Konnte jemand böse und unmoralisch sein, wenn er derart geschickt mit Koloriten umging? Wurden die Kitar falsch eingeschätzt, beruhten die Kämpfe zwischen ihnen und den Völkern des Kahlsacks auf einem einzigen großen Irrtum? Auch die Axtaras waren wegen ihrer familiären Umstände lange Zeit misstrauisch beäugt worden. Viele andere Intelligenzen verstanden die Notwendigkeit nicht, sich mit den eigenen Töchtern, Enkelinnen und Urenkelinnen zu paaren. Sie sahen darin eine verwerfliche Obszönität. Andererseits erfüllte es Dreidreiblau mit Abscheu und Ekel, wenn er an die über alle Gebühr ausgedehnten Liebesrituale der Humanes dachte. Fortpflanzung war etwas Selbstverständliches; doch die dabei empfundene Lust konnte doch unmöglich auf ein einziges Exemplar des anderen Geschlechts konzentriert werden!
Eine Rutsche aus Rot wärmte ihn, brachte seinen Körper zum Kochen. Die Facetten der Vorderaugen verbrannten angesichts der bunten Bilderwelten, durch die er sich bewegte. Immer mehr seiner Ommatidien versagten; die kleinen Kristallkegel in den Facetten wurden von der Wucht der Eindrücke zerstört.
»Zu viel!«, schrie Dreidreiblau panisch, während es rings um ihn dunkler und dunkler wurde, »das ist mir alles zu viel!«
Nichts und niemand reagierte. Eine Facette nach der anderen erlosch, und je mehr Licht sich auf die übrig gebliebenen Ommatidien konzentrierte, desto rascher setzte sich der Erblindungsvorgang fort.
Plötzlich kam alles zu einem Halt. Er lag still, auf einer weichen Matte. Rings um ihn herrschte wohltuende Klarheit. Er nahm die Dinge wieder so wahr, wie es sein sollte. Trotz der zu mehr als fünfzig Prozent zerstörten Facettenflächen der Vorderaugen konnte er ausreichend gut sehen.
Angst und Schmerz traten in den Hintergrund. Dreidreiblau versuchte sich aufzurichten, die Orientierung wiederzugewinnen. Dreißig Beinpaare und Handlungsarme waren ihm noch übrig geblieben, weit weniger als ein Zehntel der ursprünglichen Zahl. Dies würde nicht reichen, um sich normal vorwärtszubewegen. Doch mit geschickten Körperkontraktionen und ein paar Seitenwindungen würde er es schaffen, seinen Leib tiefer
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