Turils Reise
zu tun, was Turil von ihm benötigte.
»Befreie mich endlich, du verfickter Hurensohn!«, schimpfte der Sechsjährige. »Sonst ramme ich dir deinen
dreckigen Schwanz in dein eigenes Arschloch. Fotzenlecker! Mösenpisser!«
»Genug!« Turil klopfte verärgert gegen das Glas. Der verrückte Khamil, der vor Pschoim Besitzer der GELFAR gewesen war, hatte viel Zeit in dieser bedrückenden Umgebung verbracht und Momeds Wortschatz entscheidend geprägt.
Zwei der Treiber bewegten sich auf Turils Kommando hin. Sie strichen mit den mikrometerstarken Fingerchen über einzelne Gehirnwindungen, bis sie ein Nervenbündel lokalisiert hatten, in das sie sich nun langsam bohrten.
»Gib mich frei, du Scheißhaufen! Ich kann dich nicht mehr ertragen; ich kann das Schiff nicht mehr ertragen …«
»Du weißt, dass ich dich nicht freilassen kann und darf, Momed. Es gibt Verträge …«
»… mit Pisse unterschriebene Verträge, die mein kadaverfickender Vater erdacht hat! Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, reiße ich ihm den Kopf ab und scheiße ihm in den Hals …«
Endlich begann die Schmerztherapie der Treiber zu wirken. Momeds künstlicher Stimmausgang, eine schwärende, rotschwarze Masse, aus der eine breite Zunge baumelte, schloss sich. Sinnloses Gebrabbel folgte, unterbrochen von lautem Geschrei und Gekrächze.
Ich will das nicht!, dachte Turil erschüttert. Er blickte an der Glaskuppel vorbei, hinaus in die Unendlichkeit des Alls. Licht und Schatten beäugten ihn misstrauisch. Ich möchte, dass dieses arme Geschöpf endlich jene Ruhe findet, die es sich verdient hat. Vier Generationen lang dient Momed uns nun schon, und es ist noch immer kein Ende abzusehen. Wir betrügen ihn, weil er kein Zeitgefühl besitzt. Weil er nicht weiß, dass seine letzten Familienangehörigen vor über hundert Jahren
gestorben sind. Weil er dies alles hier für ein Spiel hält. Ihr Götter - macht, dass Momed endlich gehen darf!
Doch es gab keine Götter, machte sich Turil klar. Es gab auch keine Gerechtigkeit, und deswegen würde Momed so lange Dienst tun, bis selbst die gefinkelten Treiber keine Leistung mehr aus den Windungen des Kindsgehirns herauspressen konnten. Doch bis dahin würde noch sehr, sehr viel Zeit vergehen.
»Du musst dich zusammenreißen, Momed«, sagte der Totengräber so ruhig wie möglich. »Wir haben schwierige und lange Reisen vor uns. Du weißt, wie weh es tut, wenn du dich nicht ausreichend auf die Sprünge vorbereitest oder Kautium verschwendest.«
Die Treiber zogen sich eine Handbreit aus dem rot geäderten Gewebe zurück, gerade so weit, dass Momed sie noch spüren konnte. Die metallenen Reizstachel waren jederzeit bereit, neuerlich zuzustechen und weitere Schmerzzentren anzubohren.
»Du bist Turil, nicht wahr?«, fragte Momed leise.
»Ja.«
»Ich verstehe es nicht! Manchmal spreche ich mit Khamil. Dann mit Pschoim und gleich darauf mit Sakkata. Und jetzt mit dir … Warum gibt es so viele von euch, und warum nennt ihr euch alle Schiffslenker?«
»Wir alle gehören zu derselben Familie«, wich Turil einer direkten Antwort aus, so wie immer. Das Schiffsgehirn, für bestimmte Leistungen gezüchtet, war zu lange schon in seiner Arbeit verfangen, um zu verstehen. »Wir haben einen großen Sprung vor uns. Die Welt, die wir besuchen, wird dir gefallen, Momed.«
»Was weißt du schon, was mir gefällt!« Das Schiffskind bewegte sich. Teile seiner Ganglien schwappten aus der
Nährflüssigkeit. Neuronale Verknüpfungspunkte, elektronisch verstärkt, leuchteten auf. Das Gehirn Momeds befand sich in hellster - kindlicher - Aufregung.
»Werde ich andere sehen?«, fragte es. »Verwandte? Freunde? Ich kann mich erinnern, dass da andere waren. Wir haben miteinander gespielt. In großen Schiffen haben wir trainiert. Sie waren so groß, die Schiffe, und so schön … und ich konnte mich bewegen. Mit meinen Beinen …«
Momeds Stimme verlor sich in einem sinnlosen Gebrabbel. Turil wich zurück. Er winkte Licht und Schatten zu sich, während die Treiber den mit Kautium gefüllten Bleibeutel holten. Die metallenen Helfer der GELFAR würden das fast reine Element mitsamt einer Glukoselösung, die Euphorie auslöste, in den Frontallappen einmassieren.
Der Totengräber wandte sich ab. Er hatte seine Schuldigkeit getan. Nun mussten die beiden Psycho-Betreuer eingreifen und Momed weiter bearbeiten. Wenn das Kindsgehirn aus dem Sumpf seines Wahnsinns geholt und in der Realität verankert werden konnte, war es möglich, es mit
Weitere Kostenlose Bücher