Turm der Hexer
Insel. Olbans grauer rivanischer Mantel war tropf naß.
Entgeistert ob der Aussicht, Jahr für Jahr Krieg im Osten führen zu müssen, starrte Garion abwesend auf die Pfütze, die sich um Olbans Füße bildete, als er mit seinem Vater sprach. Dann hob er gewohnheitsmäßig die Augen, um den Saum von Olbans Mantel zu betrachten. Im linken Vorderteil war ein kleiner Riß, und dort schien auch ein Stückchen Stoff zu fehlen.
Garion starrte einen Moment auf den verräterischen Riß, ohne zu erkennen, was er da eigentlich sah. Dann wurde ihm plötzlich kalt. Brands jüngster Sohn war ungefähr in Garions Alter, etwas kleiner, aber muskulöser. Er hatte hellblondes Haar, und sein junges Gesicht war ernst und spiegelte bereits den üblichen, abweisenden rivanischen Ausdruck wider. Er schien Garions Blick auszuweichen, zeigte aber sonst keine Anzeichen von Nervosität. Einmal jedoch sah er den jungen König unbeabsichtigt an und zuckte zusammen. Schuldbewußtsein stand ihm deutlich in den Augen. Garion hatte den Mann gefunden, der ihn zu töten versucht hatte.
Die Konferenz ging weiter, aber Garion hörte nichts mehr davon. Was sollte er tun? Hatte Olban allein gehandelt, oder waren noch andere an dem Komplott beteiligt? War Brand selbst darin verwickelt? Es war so schwierig herauszufinden, was ein Rivaner dachte. Er vertraute Brand, aber seine Verbindung mit dem Bärenkult ließ seine Loyalität etwas ins Zwielicht geraten. Konnte Grodeg hinter all dem stecken? Oder vielleicht ein Grolim? Garion erinnerte sich an den Grafen von Jarvik, der Asharak seine Seele verkauft und in Val Alorn eine Rebellion angezettelt hatte. Stand Olban vielleicht unter dem Bann des blutroten Angarakaner-Goldes wie Jarvik es getan hatte? Aber Riva war eine Insel, der einzige Ort der Welt, an den kein Grolim gelangen konnte. Garion glaubte nicht an die Möglichkeit einer Bestechung. Erstens paßte das nicht zum rivanischen Charakter. Und zweitens war Olban wohl kaum je in Kontakt mit einem Grolim gekommen. Ziemlich grimmig entschied sich Garion für eine Vorgehensweise.
Lelldorin mußte selbstverständlich aus dem Spiel bleiben. Der hitzköpfige junge Asturier war einer so taktvollen Besonnenheit, wie sie hier vonnöten war, nicht fähig. Lelldorin würde nach seinem Schwert greifen, und danach würde die ganze Geschichte rasch aus dem Ruder laufen.
Als sich der Rat am späten Nachmittag für diesen Tag auflöste, machte sich Garion auf die Suche nach Olban. Er nahm keine Wachen mit, wohl aber sein Schwert.
Wie der Zufall es wollte, war es in einem dämmrigen Gang, ähnlich dem, in dem der Mordversuch stattgefunden hatte, wo der junge König schließlich auf Brands jüngsten Sohn traf. Olban kam Garion in dem Gang entgegen. Olban wurde sichtlich blaß, als er seinen König sah, und er verbeugte sich tief, um sein Gesicht zu verbergen. Garion nickte, als ob er ohne ein Wort weitergehen wollte, drehte sich jedoch um, als sie aneinander vorbei waren. »Olban«, sagte er leise.
Brands Sohn drehte sich um. Angst entstellte sein Gesicht.
»Ich habe bemerkt, daß ein Eckchen von deinem Mantel abgerissen ist«, sagt Garion in fast unbeteiligtem Ton. »Wenn du ihn flicken läßt, kannst du das vielleicht gebrauchen.« Er holte das Stoffstückchen unter seiner Weste hervor und hielt es dem bleichen Rivaner hin.
Ohne sich zu rühren, starrte ihn Olban mit weit aufgerissenen Augen an.
»Wo wir schon einmal dabei sind«, fuhr Garion fort, »kannst du das auch gleich nehmen. Du hast es wohl irgendwo fallenlassen.« Er griff wieder in seine Weste und zog den Dolch mit der verbogenen Spitze hervor.
Olban begann heftig zu zittern, dann fiel er plötzlich auf die Knie.
»Bitte, Eure Majestät«, flehte er, »erlaubt, daß ich mich töte. Wenn mein Vater erfährt, was ich getan habe, bricht es ihm das Herz.«
»Warum hast du mich zu töten versucht, Olban?« fragte Garion.
»Aus Liebe zu meinem Vater«, beichtete Brands jüngster Sohn mit Tränen in den Augen. »Er war der Herrscher hier in Riva, ehe Ihr kamt. Eure Ankunft hat ihn degradiert. Das konnte ich nicht ertragen. Bitte, Eure Majestät, laßt mich nicht wie einen gemeinen Verbrecher aufs Schafott führen. Gebt mir den Dolch, und ich versenke ihn hier auf der Stelle in meinem Herzen. Erspart meinem Vater diese Demütigung.«
»Rede keinen Unsinn«, sagte Garion, »und steh auf. Du siehst albern aus, wie du da auf den Knien liegst.«
»Eure Majestät…«, protestierte Olban.
»Ach, sei
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