Turm der Hexer
still«, sagte Garion gereizt. »Laß mich nachdenken.« Allmählich formte sich eine Idee in ihm. »Gut«, meinte er schließlich, »so werden wir es machen. Du nimmst dieses Messer und das Stück Stoff mit hinunter zum Hafen und wirfst beides ins Meer, und dann wirst du weiterleben, als wäre nichts geschehen.«
»Eure Majestät…«
»Ich bin noch nicht fertig. Weder du noch ich werden je wieder davon sprechen. Ich wünsche keine hysterischen öffentlichen Bekenntnisse, und ich verbiete dir ausdrücklich, dich umzubringen: Hast du mich verstanden, Olban?«
Wie betäubt nickte der junge Mann.
»Ich brauche die Hilfe deines Vaters zu nötig, um ihn durch eine persönliche Tragödie ablenken zu lassen. Es ist nichts passiert, und damit Schluß. Nimm das und geh mir aus den Augen.« Er drückte Olban Messer und Stoffetzen in die Hand. Plötzlich war er wütend. Es war so unnötig, so überflüssig gewesen, wochenlang nervös über die Schulter zu blicken. »Ach, noch eins, Olban«, sagte er, als der erschütterte junge Mann schon gehen wollte. »Wirf keine Messer mehr nach mir. Wenn du kämpfen willst, laß es mich wissen, und wir gehen irgendwohin und schlagen uns in Stücke, wenn es das ist, was du willst.«
Olban floh schluchzend.
»Sehr gut gemacht, Belgarion«, gratulierte die trockene Stimme ihm.
»Ach, halt den Mund«, sagte Garion.
In dieser Nacht schlief er nur wenig. Ihn plagten Zweifel, ob er mit Olban den richtigen Weg eingeschlagen hatte, aber alles in allem glaubte er, daß er richtig gehandelt hatte. Olbans Tat war nichts weiter als der impulsive Versuch gewesen, auszulöschen, was ihm als Herabsetzung seines Vaters erschienen war. Es war keine Verschwörung gewesen. Vielleicht nahm Olban Garions großherzige Geste übel, aber wenigstens würde er keine Messer mehr auf seinen König schleudern. Was Garion in dieser unruhigen Nacht am meisten Sorgen machte, war Belgaraths düstere Prognose des Krieges, für den sie sich rüsteten. Bis kurz vor Morgengrauen schlief er und erwachte dann aus einem entsetzlichen Alptraum mit kaltem Schweiß auf der Stirn. Er hatte gerade sich selbst gesehen, alt und erschöpft, wie er eine jämmerliche kleine Armee zerlumpter, grauhaariger Männer in eine Schlacht führte, die sie unmöglich gewinnen konnten.
»Es gibt natürlich eine Alternative falls du dich soweit von deinem Anfall von Verdrießlichkeit erholt hast, um zuzuhören«, sagte die Stimme in seinem Geist, als er kerzengerade und zitternd in seinem Bett saß.
»Was?« antwortete Garion laut. »Ach das, tut mir leid, daß ich so mit dir gesprochen habe. Ich war nur gereizt.«
»Du gleichst in vielen Dingen Belgarath sogar erstaunlich. Diese Reizbarkeit scheint erblich zu sein.«
»Das ist wohl nur natürlich«, meinte Garion. »Du hast gesagt, es gäbe eine Alternative. Alternative wozu?«
»Zu dem Krieg, der dir Alpträume beschert. Zieh dich an. Ich möchte dir etwas zeigen.«
Garion kletterte aus dem Bett und warf hastig seine Kleider über.
»Wohin gehen wir?« fragte er laut.
»Es ist nicht weit.«
Das Zimmer, in welches ihn das andere Bewußtsein dirigierte, war muffig und wurde offenbar nur selten benutzt. Die Bücher und Pergamentrollen auf den Regalen, die an den Wänden standen, waren staubig, und in den Ecken hingen Spinnweben. Garions einsame Kerze warf tanzende Schatten an die Wände. »Auf dem obersten Brett«, sagte die Stimme. »Die Pergamentrolle, die in gelbes Leinen eingewickelt ist. Nimm sie herunter.«
Garion kletterte auf einen Stuhl und nahm die Rolle. »Was ist das?«
»Der Mrin-Kodex. Nimm die Hülle herunter und rolle sie ab. Ich sage dir, wo du anhalten mußt.«
Garion brauchte ein, zwei Augenblicke, um zu lernen, wie man das untere Ende der Rolle mit der einen Hand ab und das obere mit der anderen Hand wieder aufrollte.
»Dort«, sagte die Stimme. »Das ist die Stelle. Lies sie.«
Garion mühte sich mit den Worten ab. Die Schrift war dünn wie Spinnenbeine, und er konnte noch immer nicht sehr gut lesen.
»Es ergibt überhaupt keinen Sinn«, beschwerte er sich.
»Der Mann, der es geschrieben hat, war verrückt«, entschuldigte sich die Stimme, »und außerdem war er auch noch dumm, aber ich hatte niemand anderen, mit dem ich arbeiten konnte. Versuch es noch einmal laut.«
Garion las: »Denn seht, was sein muß und das, was nicht sein darf, wird sich an einem bestimmten Punkt treffen, und in dieser Begegnung soll sich alles entscheiden, was vorher war und nachher
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