Turm der Hexer
der Zeit verloren haben, ist dieses Selbstgefühl, das für andere Menschen so wichtig zu sein scheint. Wißt Ihr, warum ich Brand genannt werde?«
»Ich habe nie darüber nachgedacht«, gestand Garion.
»Ich habe natürlich noch einen anderen Namen«, erklärte Brand, »aber ich darf ihn nie erwähnen. Jeder Wächter wird Brand genannt, damit es nie einen persönlichen Ruhm in diesem Amt geben kann. Wir dienen dem Auge, das ist unser einziger Lebenszweck. Um ganz ehrlich zu sein, ich war recht froh, als Ihr kamt. Ich näherte mich nämlich allmählich dem Zeitpunkt, wo ich meinen Nachfolger bestimmen mußte mit Hilfe des Auges, selbstverständlich. Aber ich wußte absolut nicht, wen ich wählen sollte. Eure Ankunft hat mich von dieser Aufgabe befreit.«
»Dann können wir Freunde sein?«
»Ich glaube, das sind wir bereits, Belgarion«, antwortete Brand ernst. »Wir dienen beide dem gleichen Herrn, und das bringt Männer einander immer nahe.«
Garion zögerte. »Mache ich alles richtig?« platzte er dann heraus. Brand überlegte. »Einiges, was Ihr getan habt, hätte ich vielleicht etwas anders gemacht, aber das war zu erwarten. Rhodar und Anheg handeln auch nicht immer gleich. Jeder von uns hat seine eigene Art.«
»Sie machen sich über mich lustig, nicht wahr Anheg, Rhodar und die anderen. Ich höre immer ihre klugen Bemerkungen, wenn ich eine Entscheidung treffe.«
»Darüber würde ich mir nicht allzu viele Sorgen machen, Belgarion. Sie sind Alorner, und Alorner nehmen Könige nicht sehr ernst. Sie machen sich ja auch gegenseitig über sich selbst lustig, wißt ihr. Man könnte fast sagen, solange sie scherzen, ist alles in Ordnung. Wenn sie plötzlich sehr ernst und förmlich werden, dann wißt Ihr, daß Ihr in Schwierigkeiten steckt.«
»So hatte ich das noch gar nicht bedacht«, gab Garion zu.
»Ihr werdet Euch mit der Zeit daran gewöhnen«, beruhigte Brand ihn.
Nach seiner Unterhaltung mit Brand fühlte Garion sich viel besser. In Begleitung seiner Wachen macht er sich auf den Rückweg zu den königlichen Gemächern, aber auf halbem Wege änderte er seine Meinung und machte sich statt dessen auf die Suche nach Tante Pol. Als er ihre Zimmer betrat, saß seine Cousine Adara still bei ihr und sah zu, wie sie eine von Garions alten Tuniken flickte. Das Mädchen stand auf und knickste höflich.
»Bitte, Adara«, sagte er gequält, »laß das doch, wenn wir allein sind. Davon muß ich da draußen schon genug sehen.« Er deutete auf den belebteren Teil des Gebäudes.
»Wie Eure Majestät wünscht«, erwiderte sie.
»Und nenn mich nicht so. Ich bin immer noch einfach Garion.«
Sie sah ihn mit ihren schönen, ruhigen Augen an. »Nein, Vetter«, widersprach sie, »du wirst nie mehr ›einfach Garion‹ sein.«
Er seufzte, als er die Wahrheit ihrer Worte erkannte.
»Ich muß zu Königin Silar. Sie fühlt sich nicht wohl, und sie sagt, es tröstet sie, mich in der Nähe zu haben.«
»Es tröstet uns alle, wenn du in der Nähe bist«, sagte Garion, ohne zu überlegen.
Sie lächelte ihn liebevoll an.
»Vielleicht gibt es am Ende doch noch Hoffnung für ihn«, bemerkte Tante Pol.
Adara betrachtete Garion. »Er war eigentlich nie so übel, Dame Polgara«, sagte sie. Dann neigte sie den Kopf vor den beiden und verließ leise das Zimmer.
Garion wanderte ein paar Minuten umher und warf sich dann in einen Sessel. An diesem Tag war viel geschehen, und er fühlte sich plötzlich uneins mit der ganzen Welt. Tante Pol nähte weiter.
»Warum tust du das?« fragte Garion schließlich. »Ich werde das alte Ding doch nie wieder anziehen.«
»Es muß geflickt werden, Lieber«, sagte sie freundlich.
»Es gibt hundert Leute, die das für dich tun können.«
»Ich tue es lieber selbst.«
»Leg es weg und sprich mit mir.«
Sie legte die Tunika beiseite und sah ihn fragend an. »Und was möchte Eure Majestät mit mir besprechen?«
»Tante Pol!« Garions Stimme war erstickt. »Nicht du auch noch.«
»Dann erteile mir auch keine Befehle, Lieber«, empfahl sie ihm und nahm die Tunika wieder zur Hand.
Garion sah ihr eine Zeitlang beim Nähen zu, weil er nicht recht wußte, was er sagen sollte. Ein seltsamer Gedanke durchzuckte ihn.
»Warum tust du das wirklich, Tante Pol?« fragte er, diesmal mit echter Neugier. »Wahrscheinlich wird sie ja nie wieder getragen, also vergeudest du doch nur Zeit damit.«
»Es ist meine Zeit, Lieber«, erinnerte sie ihn. Sie sah mit undurchdringlichen Augen von ihrer Näherei auf.
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