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Turm der Hexer

Turm der Hexer

Titel: Turm der Hexer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Eddings
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Dann nahm sie ohne Erklärung die Tunika in die eine Hand und fuhr mit dem Zeigefinger der anderen behutsam über den Riß. Garion spürte eine ganz leichte Woge und ein Wispern. Der Riß schloß sich vor seinen Augen, der Stoff war wieder gewebt, als ob es den Riß nie gegeben hätte. »Jetzt weißt du, wie völlig sinnlos das Flicken wirklich ist«, sagte sie.
    »Warum machst du es dann?«
    »Weil ich gerne nähe, Lieber.« Sie riß die Tunika wieder entzwei.
    Dann nahm sie ihre Nadel zur Hand und begann geduldig, den Riß zu reparieren. »Nähen beschäftigt Hände und Augen und läßt den Kopf frei für andere Dinge. Es ist sehr entspannend.«
    »Manchmal bist du schrecklich kompliziert, Tante Pol.«
    »Ja, Lieber. Ich weiß.«
    Garion ging ein Weilchen auf und ab, dann kniete er sich plötzlich neben ihren Stuhl, schob ihr Nähzeug weg und legte seinen Kopf in ihren Schoß. »Ach, Tante Pol«, sagte er, den Tränen nahe.
    »Was ist denn los, Lieber?« Sorgfältig glättete sie ihm das Haar.
    »Ich bin so einsam.«
    »Ist das alles?«
    Er hob den Kopf und starrte sie ungläubig an. Das hatte er nicht erwartet.
    »Jeder ist einsam, Lieber«, erklärte sie, ihn dicht an sich ziehend.
    »Wir berühren andere Menschen nur kurz, dann sind wir wieder allein. Daran gewöhnst du dich mit der Zeit.«
    »Niemand spricht mehr mit mir jedenfalls nicht so wie früher. Sie verbeugen sich immer und sagen andauernd ›Eure Majestät‹ zu mir.«
    »Du bist schließlich der König.«
    »Aber das will ich nicht sein.«
    »Das ist zu schade. Es ist das Schicksal deiner Familie, also kannst du nichts dagegen tun. Hat man dir je von Prinz Gared erzählt?«
    »Ich glaube nicht. Wer war das?«
    »Er war der einzige Überlebende, als die nyissanischen Mörder König Gorek und seine Familie töteten. Er ist entkommen, indem er sich ins Meer stürzte.«
    »Wie alt war er?«
    »Sechs. Er war ein sehr tapferes Kind. Jeder dachte, er sei ertrunken und seine Leiche wäre ins offene Meer hinausgetrieben worden. Dein Großvater und ich haben diesen Glauben unterstützt. Dreizehnhundert Jahre lang haben wir die Nachkommen Prinz Gareds versteckt.
    Generationen lang haben sie ihr Leben in stiller Verborgenheit gelebt mit dem einzigen Ziel, dich auf den Thron zu bringen. Jetzt sagst du, du willst nicht König sein?«
    »Ich kenne keinen dieser Leute«, sagte er mürrisch. Er wußte, daß er sich schlecht benahm, konnte aber nichts dagegen tun.
    »Würde es dir helfen, wenn du sie kennen würdest jedenfalls einige von ihnen?«
    Die Frage verblüffte ihn.
    »Vielleicht ja«, entschied sie. Sie legte ihr Nähzeug beiseite, stand auf und zog ihn auf die Füße. »Komm mit«, befahl sie und ging zu dem hohen Fenster, das über die Stadt hinausblickte. Davor war ein kleiner Balkon. In einer Ecke, wo eine Regenrinne undicht war, hatte sich im Laufe des Winters eine schimmernde schwarze Eisschicht gebildet, die vom Geländer bis zum Boden des Balkons reichte.
    Tante Pol öffnete das Fenster und ließ so einen Stoß eisiger Luft herein, der die Kerzen flackern ließ. »Sieh direkt in das Eis, Garion«, sagte sie, auf die glitzernde Schwärze deutend. »Sieh ganz tief hinein.« Etwas war in dem Eis zuerst unförmig, dann aber klarer und klarer werdend. Es war, wie er schließlich sehen konnte, die Gestalt einer hellblonden Frau, schön und mit einem warmen Lächeln auf den Lippen. Sie war jung, und ihre Augen waren direkt auf Garion gerichtet.
    »Mein Kleiner«, schien ihm eine Stimme zuzuflüstern. »Mein kleiner Garion.«
    Garion begann heftig zu zittern. »Mutter?« hauchte er.
    »So groß schon«, fuhr die Stimme fort. »Fast schon ein Mann.«
    »Und bereits ein König, Ildera«, sagte Pol mit sanfter Stimme zu dem Phantom.
    »Dann war er der Erwählte«, triumphierte der Geist von Garions Mutter. »Ich wußte es. Ich konnte es fühlen als ich ihn unter dem Herzen trug.«
    Neben der ersten tauchte langsam eine zweite Gestalt auf. Es war ein großer junger Mann mit dunklem Haar und seltsam vertrautem Gesicht. Garion erkannte deutlich die Ähnlichkeit mit sich selbst. »Heil Belgarion, mein Sohn«, sagte die zweite Gestalt.
    »Vater«, antwortete Garion, weil er nicht wußte, was er sonst hätte sagen sollen.
    »Unseren Segen, Garion«, sagte der zweite Geist, als die beiden zu verblassen begannen.
    »Ich habe euch gerächt, Vater«, rief Garion ihnen nach. Es war ihm wichtig, daß sie das wußten. Er war sich jedoch nie sicher, ob sie ihn noch gehört

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