Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
Vom Netzwerk:
bereitete.
    In abgrundtiefe Mattigkeit versunken, blieb Jeanne reglos, als der Türriegel zurückgezogen wurde. Ein kühler Luftzug strich ihr über das Haar, das etwas dunkler und lockiger nachgewachsen, aber noch kaum fingerlang war.
    »Jeanne!«
    Philippes Stimme. Träume ich mit offenen Augen?
Sie wagte nicht, den Kopf zu wenden.
    »Jeanne!«
    Ich darf mich nicht bewegen. Wenn ich mich bewege, breche ich den Bann.
    »Was ist mit ihr? Wieso antwortet sie nicht? Kann sie mich nicht mehr hören? Was habt Ihr mit meiner Frau gemacht, Montgeron?«
    Was sagt er da? Mit wem redet er? Kann ich es wagen, mich nach ihm umzudrehen? Ich will nicht erwachen.
    »Niemand hat sie je angerührt, königliche Hoheit. Sie ist völlig unverletzt.«
    »Und scheinbar nicht bei Verstand. Was ist das für ein Zeug auf dem Tisch? Wollt Ihr sie vergiften?«
    »Ihr tut uns unrecht, Monseigneur. Sie erhält das Essen, das auch die Männer auf den Wehrgängen bekommen. Es ist nicht unsere Schuld, wenn sie die Hälfte stehenlässt.«
    »Schuld! Schuld! Ich kann das Wort nicht mehr hören!«
    Philippe ging auf seine Frau zu und beugte sich zu ihr hinab.
    »Jeanne, Liebste! Bitte komm zu dir. Sag etwas. Bitte! Jeanne!«
    Diese warmen Hände. Philippe. Welch schöner Traum. Er zieht mich an sich, ich spüre sogar seine Berührung. Er riecht nach frischer Luft. Nach Leder. Als läge ein langer, anstrengender Ritt hinter ihm.
    »Zum Donnerwetter noch mal. Sie ist nur ein Schatten ihrer selbst. Hattet Ihr auch Befehl, sie verhungern zu lassen, Montgeron?«
    Sein Zorn war Wirklichkeit. Sein Griff so fest, dass sie spürte, wie er bebte und sich mühsam kontrollierte.
    »Du bist es tatsächlich.«
    Jeanne starrte in Philippes besorgtes Gesicht. Sie wurde noch bleicher, als sie es ohnehin schon war. Ihre Lippen bewegten sich in wortloser Rede weiter, dann sackte sie mit einem Seufzer in sich zusammen. Philippe konnte sie eben noch vor dem Sturz bewahren. Erschüttert hielt er seine leblose Frau in den Armen. Was konnte er für sie tun?
    Séverine, die sich im Hintergrund gehalten hatte, erkannte seine Bedrängnis. Sie beeilte sich einzugreifen.
    »Bringt Jeanne auf das Lager dort«, riet sie ihm knapp und deutete auf das karge Bettgestell mit dem Strohsack.
    »Schafft heißen Wein und frische Glut für den Kamin herauf. Es eilt!«, brachte sie gleichermaßen energisch den Hauptmann in Bewegung.
    Sie trat zu Jeanne ans Bett, umfasste ihre Beine, lagerte sie kundig hoch und strich ihr mit einer zärtlichen Geste über die kühlen Wangen.
    Philippe sah ihr dabei zu. Seine Erschütterung lähmte ihn. Er war dankbar dafür, mit welcher Umsicht Séverine seiner Frau zu Hilfe kam. In diesem Moment empfand er sich selbst zum ersten Male in seinem Leben nutzlos.
    Séverine warf ihm über die Schulter einen ermutigenden Blick zu. »Es ist nur die Überraschung, die ihr das Bewusstsein trübt, Monseigneur. In wenigen Augenblicken wird sie wieder bei sich sein.«

[home]
Vierzehntes Kapitel
    P hilippe hatte sich keine Illusionen über dieses Wiedersehen gemacht, doch die Wirklichkeit übertraf seine schlimmsten Erwartungen. Blutleer und abgemagert lag Jeanne auf dem Strohsack. Obwohl ihre Schwangerschaft schon mehrere Monate währte, war die Leibeswölbung kaum der Rede wert. Viel zu dünn spannte sich auch die Haut über ihre Wangenknochen, die Lippen waren rissig und aufgesprungen, die Augen lagen tief in den Höhlen.
    »Was habt Ihr ihr angetan?«, fragte er den Burghauptmann, ohne den Blick von ihr zu wenden.
    »Weder Gewalt noch Folter«, beteuerte der Hauptmann eilig. »Wir haben die Befehle des Königs befolgt. Strenge Abgeschiedenheit. Einfache Kost. Einmal in der Woche der Besuch des Priesters. Die Dienste der Magd, die wir ihr zuteilwerden lassen, sind bereits ein Verstoß gegen die Anweisungen. Ich hab’ es auf meine Verantwortung genommen, weil das Mädchen stumm ist und nichts verraten kann.«
    Die Auskunft war nicht dazu angetan, Philippes Zorn zu besänftigen. Im Gegenteil. Seine Fäuste ballten sich.
    Jeannes Augen waren geschlossen, aber sie hatte zu weinen begonnen. Lautlos.
    Séverine behielt als Einzige ausschließlich ihr Wohl im Auge. Sanft drängte sie Philippe zur Seite, damit er sich fasste, ehe er Jeanne wieder gegenübertrat.
    »Gebt ihr ein wenig Zeit, den Schock der unerwarteten Begegnung zu verarbeiten«, bat sie ihn. »Ihr seht doch, was hinter ihr liegt.«
    Sie verströmte Ruhe und Sachverstand, so dass Philippe schweigend

Weitere Kostenlose Bücher