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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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Begleitung ist«, wies er mit einer Handbewegung auf sie.
    Jeanne blieb stumm. Aber ihre Augen suchten Séverine, die den eisernen Schürhaken genommen hatte. Sie wollte prüfen, ob er schon genügend glühte, um den Wein damit zu erwärmen. Zischend stiegen Dampf und würzige Düfte auf, als sie ihn kurz darauf in den Krug tauchte.
    »Der heiße Wein erwärmt den Körper von innen und lässt das Blut schneller zirkulieren«, erklärte sie dabei betont unbeschwert. »Wärme ist jetzt das Wichtigste. Wärme und Eure Gegenwart, Monseigneur. Vermutlich glaubt sie immer noch zu träumen.«
    Jeannes Blick gab Séverine recht. Stumm die Lippen bewegend, machte sie dazu eine fahrige Geste in ihre Richtung und streckte eine Hand nach ihr aus. Séverine kam sofort näher und ergriff sie.
    »Wir sind mit dem Einverständnis des Königs in Dourdan«, beantwortete sie die unausgesprochene Frage. »Es hat alles seine Richtigkeit. Wir werden auch noch da sein, wenn Ihr wieder erwacht. Ihr müsst jetzt keine Angst mehr haben, alles wird gut.«
    Sie hatte die richtigen Worte gefunden. Philippe wurde Zeuge, wie sich Jeanne entspannte, tiefer atmete. Sanft legte Séverine ihre Hand in seine Finger.
    »Ich muss wieder nach unten, in die Wachstube«, sagte sie leise. »Inzwischen wird Julien die Decken und Kissen gebracht haben. Lasst sie nicht los. Sie braucht jetzt Eure Berührung, um zu begreifen. Worte werdet Ihr später füreinander finden …«
    Dankbar auch für die Ungestörtheit, die sie ihm und Jeanne damit verschaffte, nickte Philippe zustimmend. Gott sei Dank hatte er Séverine mitgebracht. Es war die richtige Entscheidung gewesen.
    Gut, dass Adrien sie unter seinen Schutz genommen und in Jeannes Haushalt gebracht hatte. Keine der Edeldamen hätte den Ritt nach Dourdan überstanden. Ebenso wenig wären sie fähig gewesen, den Anforderungen gerecht zu werden, die hier an sie gestellt wurden.
    »Schlaf, Jeanne, du musst müde sein«, raunte er mit gedämpfter Stimme. Das heiße Getränk hatte etwas Farbe auf ihre Wangen gebracht, aber ihre Erschöpfung war offensichtlich. »Ich wache bei dir.«
    Seine Versicherung, gut gemeint, bewirkte das Gegenteil. Jeanne fuhr hoch, als enthielte sie eine Drohung.
    »Ich will nicht schlafen. Ich kann nicht schlafen. Ich darf nicht schlafen.«
    »Beruhige dich. Es ist vorbei«, beschwor er sie. »Hast du nicht gehört, was Séverine gesagt hat?«
    Sie stieß einen undefinierbaren Laut aus. Es klang furchtbar. »Du täuschst dich. Oder kannst du die Toten wieder zum Leben erwecken? Weißt du, was ich in meinen Träumen sehe, wenn mich wirklich einmal der Schlaf übermannt? Geschundene Körper. Philippe und Gautier von Aunay. Ich höre ihre Schreie. Das Johlen der Menge, die dem Henker zujubelt, während er ihnen die Haut von den Knochen zieht. Die kahlen Köpfe von Blanche und Marguerite.«
    Sie brach keuchend ab. Zu schwach, das Entsetzen zu meistern, das ihr den Schlaf vergällte, seit sie Pontoise verlassen hatte.
    Das Kerzenlicht flackerte über ihr von Leid gezeichnetes Gesicht. Philippe hätte ihr gerne das Haar aus der Stirn gestrichen, aber seit sie wieder völlig bei sich war, wich sie zurück, sobald er ihren Kopf berührte. Obwohl er sie umarmte, war sie ihm fern. Würde das so bleiben? Hatten die grausamen Geschehnisse ihr die Sinnenfreude und das Vertrauen für immer genommen?
    »Du musst vergessen«, flehte er mit rauher Stimme und merkte selbst, welch unmögliche Forderung er stellte. »Ich will dir helfen dabei.«
    Sie erwiderte nichts. Erst als er annahm, sie sei längst eingeschlafen, fragte sie mit geschlossenen Augen: »Wirst du mich nach Hause bringen?«
    »Ja.«
    Ein bedrücktes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie begriff auf Anhieb, dass dieses kurze Ja auf keinen bestimmten Zeitpunkt festgelegt war.
    »Verzeih mir«, fügte er hinzu.
    »Du hast nichts getan, das Verzeihung erfordert.«
    »Ich habe dich hier warten lassen. Glaube mir, ich weiß, wie lang die Monate für dich waren.«
    Er lauerte geradezu darauf, dass sie ihm Gelegenheit gab, sein Mitgefühl auszudrücken. Aber sie schien keinen Wert darauf zu legen. Sie verschloss sich vor ihm. Bis auf den ersten ungläubigen Blick und die schnelle Berührung hatte sie keine Freude gezeigt, ihn zu sehen.
    Weil sie keine empfand?
    »Erlaubt, dass ich die Decken ausbreite.«
    Schwerbeladen erschien Séverine wieder unter dem Türbogen. Philippes düsterer Gesichtsausdruck ließ sie zögern, aber er winkte sie ungeduldig

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