Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
Vom Netzwerk:
sollte.
    Fröstelnd zog sie ihren Umhang enger um die Schultern.
    Der Ruf einer scheppernden Glocke verkündete vom Kapellendach den Beginn der Vespergebete. Der Mönch nahm sein Brevier auf und schritt zum Eingang des Gotteshauses, während der Schmied ein letztes glühendes Hufeisen in den Wassereimer tauchte. Zischend stieg der Dampf auf. Der Feierabend begann, denn mittlerweile war allenthalben das Licht zu schwach zum Arbeiten geworden.
    Vor ihnen, am Eingang zum Hauptgebäude, befestigte ein Knecht eine Pechfackel in dem dafür vorgesehenen Eisengestell an der Hauswand.
    Aus allen Richtungen kamen Männer, die ihr Tagwerk beendet hatten. Séverine spürte ihre neugierigen Blicke. Philippe schien es nicht zu kümmern.
    »Julien, du versorgst die Pferde«, befahl er und sprang aus dem Sattel. »Séverine, Ihr kommt mit mir.«
    Er ließ ihr kaum genügend Zeit, vom Pferd zu steigen. Sie verstand, was ihn antrieb.
    »Königliche Hoheit … Monseigneur …«
    Hauptmann Montgeron geriet ins Stottern. Seine Stirn, erst bleich, dann hochrot, legte sich in tiefe Sorgenfalten. Lesen war nicht seine Stärke. Es hatte geraume Zeit gedauert, bis er das Pergament entziffert hatte, das nun in seiner Hand bebte. Er war Ritter, kein Höfling. Er räusperte sich vorsichtig und suchte nach Worten. Wie sollte er sich verhalten? Keiner, auch nicht ein Sohn des Königs, durfte die Gefangene besuchen. Dies war ihm ausdrücklich befohlen worden. Außer ihm kannte auch niemand ihre Herkunft.
    Philippe ließ ihm keine Zeit, den Zwiespalt zu bedenken.
    »Ihr haltet den schriftlichen Befehl des Königs in Händen, Hauptmann. Ich habe die Erlaubnis, meine Frau aufzusuchen. Außerdem soll ich die Umstände ihrer Verbannung prüfen und wenn nötig, verbessern. Habt Ihr nicht selbst erst kürzlich darum gebeten, von der Verantwortung für ihre Gesundheit entbunden zu werden?«
    Der Burghauptmann beließ es bei einem zögernden Nicken. Die Gesundheit der Verbannten im Turm war ein heikles Thema.
    »Nun denn, Eure Bitte ist erhört worden. Ich benötige Quartier für mich und meine Begleitung. Zudem erwarte ich in Kürze ein Fuhrwerk mit Besitztümern meiner Frau. Alles Weitere werden wir in den nächsten Tagen besprechen können. Begleitet mich in den Bergfried.«
    Immer noch unsicher, gab sich der Hauptmann geschlagen.
    »Ich nehme an, Ihr wollt Wohnung im Palas nehmen, Monseigneur. Das Haus ist seit dem letzten Besuch des Herrn von Evreux verschlossen. Ich muss nach den Mägden schicken, damit sie das Bettzeug aus den Truhen holen und lüften. Teppiche, Alkovenvorhänge, Silbergeschirr, alles lagert in Kisten im Magazin. Seine Gnaden sendet vor jedem Aufenthalt seinen Haushofmeister nach Dourdan voraus, damit alles gerichtet ist, bis er eintrifft. Wir haben seit Monaten nichts von ihm gehört.«
    Kein Wunder, dachte Séverine im Stillen. Vermutlich hatte der König seinen Bruder darum gebeten, diese Burg noch einmal für seine Zwecke nutzen zu dürfen. Zudem besaß er zu seinem Vergnügen noch genügend andere Herrensitze und Jagdreviere.
    »Heißt das, es gibt auch keinen amtierenden Burgvogt in Dourdan? Keine Hausherrin, die das Gesinde beaufsichtigt?«, erkundigte sich Philippe indessen verblüfft.
    »In der Burg lebt überhaupt keine Frau, königliche Hoheit. Die Mägde für Küche und Stall kommen morgens zur Arbeit und gehen abends wieder. Das ist besser für die Disziplin meiner Männer.«
    Philippes und Séverines Blicke kreuzten sich ahnungsvoll.
    * * *
    Das klägliche Scheppern der Glocke teilte den Tag in einzelne Abschnitte. Jeanne hatte auf der Steinbank Platz genommen und zählte gewohnheitsmäßig die Schläge. Vesperzeit. Der Abend fiel herab. Weit unten, vor den Mauern ihres Kerkers, wurde es ruhiger.
    Die Alltagsgeräusche, das Kindergeschrei, der Arbeitslärm und die Tierlaute waren ihr einziger Beweis dafür, dass das Leben außerhalb der Mauern weiterging. Quietschende Fuhrwerke, das Hämmern von Steinmetzen und die Rufe der Wachmänner auf den Wehrgängen kennzeichneten die Werktage. Wenn die Männer ihr Waffentraining im Burghof abhielten, drangen das Klirren der Schwerter und das Ächzen der Verlierer in ihre Einsamkeit. Am Waschtag der Gesang der Frauen am Dorfteich. Sonntags herrschte Stille.
    Sehen konnte sie nichts von alledem. Die einzige Öffnung im Gemäuer war höchstens zwei Hände breit und kaum vier Fuß hoch. Seit sie im Mai nach Dourdan gekommen war, blieb jeder Kontakt mit der Außenwelt allein auf

Weitere Kostenlose Bücher