Turm der Lügen
ihr Ehrgeiz ist unermesslich. Wozu sonst sollten all die geheimen Besprechungen dienen, die sie in den vergangenen Wochen geführt hat?«
»Still. Ich bitte dich. Sie ist trotz allem unsere Mutter. Sie ist keine Meuchelmörderin.«
»Meinst du, das hält sie davon ab, Menschen zu beseitigen, die ihren Plänen im Wege stehen? Muss ich dir erzählen, wozu Mahaut imstande ist? Sie hat dem Zänker Rache geschworen und will seinen Sohn nicht auf dem Thron sehen. Sie fordert Rache für Marguerites Tod und dafür, dass auch Blanches Leben zerstört wurde.«
Sie bedeutete Séverine zu schweigen, ehe sie Adrien mitteilte, was ihrer Meinung nach unbedingt getan werden musste: »Ich werde mit meinen Kindern auf der Stelle dieses Haus verlassen und wieder Wohnung im
Hôtel d’Alençon
nehmen. Die Bogenschützen, die Philippe gesandt hat, um seinen Sohn zu bewachen, sollen uns begleiten. Ich rechne auf Eure Hilfe, Baron.«
»Du kannst nicht einfach verschwinden, solange Philippe und Mahaut in Vincennes sind.« Séverine begriff zwar, welche vernunftwidrige Angst Jeanne zu ihrem überstürzten Entschluss und ihren absurden Anschuldigungen bewegte, billigen konnte sie sie jedoch nicht. »Du musst ihr wenigstens die Möglichkeit geben, sich dir zu erklären. Du kannst sie nicht aufgrund von bloßem Hörensagen verurteilen. Hast du nicht am eigenen Leib verspürt, wie grässlich das ist? Du lässt allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren, warum nicht deiner Mutter?«
»Ich will sie nicht sehen. Ich will sie nicht sprechen. Und schon gar nicht will ich, dass sie in die Nähe meiner Kinder kommt«, wich Jeanne der direkten Antwort aus.
»Besinne dich. Du überspannst den Bogen. Du wirst es bereuen. Adrien. So sag doch etwas.«
Jeanne ließ sich nicht umstimmen. Sie brachte Adrien mit einer Geste zum Verstummen. Er sah bereits die Königin in ihr und gehorchte.
Séverine kämpfte weiter.
»Wie sieht es aus, wenn wir fluchtartig dieses Haus verlassen? Philippe wünscht bestimmt keinen neuen Skandal in seiner Familie.«
»Philippe wünscht in erster Linie, dass seine Kinder in Sicherheit sind.«
»Du kannst nicht im Ernst annehmen, dass ihnen Gefahr von Mahaut droht«, insistierte Séverine.
»Vielleicht keine Gefahr für ihr Leben, aber Gefahr für ihre Seelen. Ich möchte nicht, dass sie unter ihren Einfluss geraten«, widersprach Jeanne. »Sie sind jetzt die Töchter des Königs von Frankreich.«
Séverine wandte sich unglücklich an Adrien. Er musste Jeannes Hysterie in vernünftige Bahnen lenken. Auf ihn hörte sie.
»Sag du ihr, dass es so nicht geht.«
Adrien schwieg.
Verstand sie sein Schweigen richtig? Adrien fiel ihr in den Rücken? Waren denn alle närrisch geworden? Séverine rang um Fassung, suchte nach den richtigen Worten und sagte schließlich mit voller Überzeugung: »Glaube mir doch wenigstens dies: Sie würde niemals dir oder deinen Kindern schaden, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
»Eine solche Garantie ist absurd. Niemand außer dir käme auf diese Idee.«
Dass ausgerechnet Adrien ihr Urteilsvermögen anzweifelte, kränkte Séverine zutiefst. Ihm zu antworten hieße, mit ihm zu streiten.
Sie entschied sich dagegen, wandte sich um und verließ stumm die Kapelle.
* * *
Ein Jahr war fast vergangen, seit Séverine mit Jeanne wieder in Paris eingetroffen war. Adrien erinnerte sich an seine Pläne und seine Hoffnungen. Dass er zwölf Monate später kaum einen zusammenhängenden Tag mit Séverine verbracht hatte und weniger denn je auf eine gemeinsame Zukunft mit ihr hoffen durfte, wäre ihm damals nie in den Sinn gekommen.
Sollte es Jahre so fortgehen?
Er unterdrückte mit Mühe einen Fluch und wandte sich wieder seiner Aufgabe zu. Es fiel ihm immer schwerer, Philippes Wünsche zu erfüllen.
Er hatte ihn gebeten, im königlichen Vorzimmer auf ihn zu warten. Da Artois und Charles sich ebenfalls dort aufhielten, schritt er gespielt liebenswürdig auf sie zu. Charles betrachtete ihn finster, Artois mit Vorsicht. Sie waren keine Freunde.
»Artois, wie schön, Euch wieder unter den Männern des Königs zu finden«, gratulierte Adrien. Die Worte kamen aus dem Herzen. Was immer den Riesen dazu bewogen hatte, Philippe zu dienen, es war von Vorteil für das Königreich. Mit Mahaut hatte er sogar einen Waffenstillstand bis zum nächsten Osterfest geschlossen. Der Rat hatte zugesagt, sich danach mit seinen Forderungen auseinanderzusetzen.
Vielleicht auch, weil Mahaut im Gegenzug die Kröte
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