Turm der Lügen
darum bemühen würde, Jeanne so schnell wie möglich mit einem Edelmann seiner Wahl zu vermählen.
Philippe war mit sich zufrieden. Die ersten Schritte, einem künftigen Sohn den Weg zu ebnen, waren gemacht. Vielleicht war ihm dieses Mal das Schicksal wohlgesinnt.
* * *
Jeanne verfolgte jeden Handgriff der Amme. Alles drehte sich seit sechzehn Tagen ausschließlich um Philippes Sohn. Das Wunder seiner Geburt hatte Mahaut und ihren Haushalt völlig auf den Kopf gestellt. Nichts war gut genug für den Prinzen, den man nach seinem Urgroßvater Louis getauft hatte. Séverines Einwurf, dass es auch der Name des Zänkers gewesen sei, hatte man ignoriert.
»Gott allein weiß, welche Ängste ich ausgestanden habe, es könnte abermals ein Mädchen werden«, sagte Jeanne in diesem Augenblick zum wiederholten Mal zu ihrer Mutter. Sie hatte die Geburt ohne die üblichen Komplikationen hinter sich gebracht und war bereits wieder auf den Beinen. »Ich kann es noch gar nicht fassen. Wenn ich aufwache, springe ich aus dem Alkoven, weil ich Angst habe, ich hätte geträumt. Erst wenn ich mich davon überzeugt habe, dass er in seiner Wiege liegt, bin ich wieder ruhig.«
Mahaut teilte das Glück Jeannes und Philippes. Sie ließ ihren Enkel kaum aus den Augen. Die Geburt des Erben beflügelte sie förmlich. Mit rastloser Energie empfing sie Kuriere, schrieb Botschaften, besprach sich mit Prälaten und tagte mit wichtigen Edelmännern. Was all diese Aktivitäten bewirken sollten, blieb ihr Geheimnis. Aber sie wurde nicht müde, ihren Töchtern mitzuteilen, dass alles nur dazu diente, ihre und die Zukunft ihrer Kinder zu sichern.
Séverine brachte Mahaut nach wie vor die widersprüchlichsten Empfindungen entgegen. Sie konnte sie in ein und derselben Stunde ebenso verachten, wie ihre Klugheit bewundern, auf ihrer Seite sein und gleichzeitig den Wunsch verspüren, sich für immer von ihr abzuwenden. Alles gemeinsam bewog sie dazu, sich ihr nicht länger unverblümt zu widersetzen.
Helle Stimmen, das Getrappel kleiner Füße und eine sonore Männerstimme, die sich in das Gezwitscher mischte, kündigten Philippes Erscheinen an. Seine älteren Töchter begleiteten ihn aufgeregt. Jeanne und Marguerite waren inzwischen verständige Prinzessinnen, die sich Philippes Rang gebührend verhalten konnten. Sie waren schlau genug, es auszunutzen, dass in seiner Gegenwart die gefürchtete Autorität ihrer Großmutter an Einfluss verlor.
»Es gibt Neuigkeiten aus Vincennes«, verkündete Philippe ohne lange Vorreden. »Königin Clementia hat in der Nacht zum vierzehnten November einem gesunden Sohn das Leben geschenkt.«
Mahaut gab einen kaum vernehmbaren Laut von sich.
Jeanne sah ihren Gemahl aus großen Augen stumm an.
Séverine suchte in Philippes Zügen nach einem Anhaltspunkt für seine Gefühle. Sie fand keinen. Er hatte sein Mienenspiel so gut in der Gewalt, dass es ihn nicht einmal verriet, als er die Mädchen streng ansah, weil sie nicht aufhörten, zu plappern. Dann streckte er die Hände nach seinem Sohn aus.
»Gebt ihn mir und lasst uns allein«, befahl er der Amme.
Die Frau gehorchte, während der Kleine aus voller Kehle protestierte.
Philippe ignorierte das Geschrei. Er sah das wütende Bündel in seinem Arm lange an. Alle Traditionen wurden in der Fürsorge um ihn strengstens befolgt. Man hatte ihn eng in Wickelbänder gehüllt, damit seine Glieder gerade wuchsen. Ein besticktes Häubchen bedeckte die blonden Haare.
»Ich musste ihn einfach noch einmal genau in Augenschein nehmen, ehe wir nach Vincennes aufbrechen«, sagte er fast entschuldigend. »Bilde ich es mir nur ein, oder wächst er tatsächlich jeden Tag ein Stück?«
»Was willst du in Vincennes?«, fragte Jeanne.
Mahaut kam Philippe mit der Antwort zuvor.
»Der Königssohn muss umgehend getauft werden. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Ich werde sogleich Befehl geben, dass mein Wagen angespannt wird. Meine Truhe ist schon vorbereitet.«
»Mutter, das ist nicht …«
»Wollt Ihr sagen, es sei nicht nötig, dass ich jetzt an der Seite der Königin bin? Es ist schlimm genug, dass der Thronfolger von Frankreich außerhalb der Stadt, inmitten von Wäldern, auf die Welt kommt. Wir wollen Louis’ Sohn nicht die Ehrerbietung verweigern. Es ist meine Pflicht, als Pair des Reiches seine Taufe zu bezeugen und einer seiner Paten zu sein. Ich begleite Euch selbstverständlich nach Vincennes, Philippe.«
Sie schnitt jede Erwiderung mit einer Handbewegung ab und ging
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