Turm der Lügen
und der Königin von Frankreich, Séverine.«
»Was redest du da? Clementia hat einen Sohn zur Welt gebracht. Philippe regiert für den kleinen Prinzen, bis er volljährig ist.«
»Jean Posthumus ist tot. Man hat ihn gestern ohne Bewusstsein in seiner Wiege gefunden. Die königlichen Ärzte konnten ihm nicht helfen. Philippe ist der neue König, sein Sohn Louis der Kronprinz.«
Séverine fröstelte. Adrien küsste sie liebevoll, aber sie war so durcheinander, dass sie es kaum bemerkte.
»Philippe hat mich gebeten, die Nachricht in aller Eile, vor der offiziellen Bekanntgabe, zu überbringen. Ihm liegt am Herzen, dass Jeanne sich keine zu großen Sorgen macht. Er hat bereits veranlasst, dass seine Bogenschützen die Bewachung des
Hôtel d’Artois
übernehmen. Die Sicherheit seines Sohnes muss gewährleistet sein. Der kleine Louis ist jetzt die Hoffnung des Königreiches.«
Obwohl es Séverine schwerfiel, die Umarmung zu lösen, trat sie von Adrien zurück.
»Lass uns auf der Stelle zu Jeanne gehen. Eben war sie noch in der Kapelle. Sie wollte für ihre Schwester beten. Außer ihr scheint niemand mehr an Blanche zu denken. Ob Philippe mit seiner neuen Macht ihre Verbannung endlich aufhebt?«
Adrien dämpfte ihre aufkeimenden Hoffnungen behutsam. »Ich fürchte, erst muss sie in die Scheidung von Charles einwilligen.«
»Das wird sie. Nach so langer Zeit verkauft man sogar seine Seele gegen ein bisschen Wärme und Freiheit.«
»Ihr müsst Philippe Zeit lassen.«
Adrien verstand, was sie bewegte, aber er war auch Zeuge der Ereignisse in Vincennes geworden. Philippe hatte drängendere Probleme, als seine Schwägerin in Château Gaillard zu begnadigen.
»Er kann nicht alle Angelegenheiten am ersten Tag in Angriff nehmen.«
»Wirst du ihn an Blanche erinnern? Du erreichst sein Ohr in diesen Tagen eher als Jeanne.«
»Ich verspreche es dir.«
Mehr konnte Séverine wohl nicht für Blanche tun. Sie führte Adrien in die Kapelle, die einem riesigen Schmuckkästchen glich. Mahaut hatte den Schrein mit goldenen Kerzenleuchtern und Meisterwerken der Holzschnitzkunst geschmückt. Die bemalten Heiligenfiguren wirkten fast lebensecht.
Jeanne kniete vor dem Altar.
Séverine räusperte sich leise, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Irritiert sah Jeanne über die Schulter. Bei Adriens Anblick bekreuzigte sie sich eilig und stand auf.
»Was ist geschehen?«, fragte sie anstelle einer Begrüßung.
Adrien sank in die Knie und zog Séverine mit sich. »Ihr seid Frankreichs neue Königin, Madame.«
Zutiefst erschrocken, verlangte Jeanne die Einzelheiten zu hören. Je mehr sie erfuhr, desto blasser wurde sie. »Ist beim Ableben des armen kleinen Prinzen auch wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen?«, flüsterte sie beklommen.
Sie vergrub das Gesicht in den Händen, als Adriens Antwort auf sich warten ließ.
Séverine konnte sich ihrer beider Reaktion nicht erklären. Bestürzt sah sie von Jeanne zu Adrien und dann wieder zu ihrer Schwester.
»Was willst du damit andeuten? Dass man ihn ermordet haben könnte? Bist du von Sinnen? Wer sollte Nutzen aus dem Tod eines Kindes ziehen, das kaum gelebt hat?«
»Fragst du mich das wirklich, Séverine?«, antwortete Jeanne mit einer Gegenfrage. »Denk nach. Denk an die Taufe. An das geweihte Wasser und das Salböl bei der Taufe. Für diese Zeremonie musste er aus der Obhut genommen werden, die ihm Valois sicher angedeihen ließ. Dass er wenige Tage später sterben musste, erregt Verdacht.«
»Es ist nicht unüblich, dass ein Säugling nur wenige Tage lang lebt«, warf Adrien besänftigend ein.
»Mahaut hat ihn bei der Taufe gehalten, sagt Ihr …« Jeanne klang immer verzweifelter.
Verdächtigte Jeanne etwa die eigene Mutter des Giftmordes an Frankreichs Thronfolger? Séverine wollte ihren Ohren nicht trauen.
»Hüte deine Worte«, warnte sie und ergriff Jeannes Hand, ohne ihren neuen Rang zu berücksichtigen. Sie erschrak, so kalt war sie. »Hast du nicht gehört, was Adrien erzählt hat? Schon die Wehmütter fürchteten um das Leben des königlichen Kindes. Muss ich ausgerechnet dir erklären, wie schwierig Geburten sind? Wie gefährlich die ersten Tage eines Lebens?«
»Und hast du vergessen, welche Gerüchte schon nach dem Tod des Zänkers die Runde machten?«, fragte Jeanne unglücklich. »Auch damals, als Louis so unerwartet und jäh nach einem Trunk zusammenbrach, befand sich unsere Mutter in seiner unmittelbaren Nähe. Gibt dir das nicht zu denken? Du weißt,
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