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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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mit ihr aus dem Weg gehen. Jetzt drängte es ihn, sie ans Ziel zu bringen. Hoffentlich verlief alles friedlich. Ihr Zögern ließ ihn stutzen.
    »Du brauchst keine Angst zu haben. Es wird dir nichts Böses geschehen.«
    »Sieh dich um, und dann sieh mich an.« Séverine wäre am liebsten auf das Pferd zurückgestiegen. »Ich habe hier nichts zu suchen.«
    Musste der versprochene Gehorsam wirklich so weit gehen, dass sie widerspruchslos alles hinnahm? Erst verschleppte er sie, dann nahm er ihr das Pferd, und schließlich die Freiheit. Hinter diese Mauern verbannt, wäre sie eine Gefangene. Panik stieg in ihr auf, zeigte sich in ihren Augen.
    »Komm jetzt. Schenk’ mir dein Lächeln und sei freundlich mit Madame Jeanne. Und sei nicht traurig, dass du dein Pferd opfern musstest. Es musste sein. Ich werde dafür sorgen, dass du es zurückbekommst.«
    Seine Worte klangen jetzt wieder liebevoll und freundlich, wie sie es gewohnt war. Sie beruhigten Séverine ein wenig, und nach einer kleinen Pause sagte sie zögerlich: »Du weißt, dass ich all das nur tue, weil es dein Wunsch ist?«
    »Du wirst es nicht bereuen, mein Wort darauf.«
    Sie folgte ihm stumm in das
Hôtel d’Alençon,
wie der Wohnsitz der Grafen von Poitiers in der
Rue Poullies
von den Parisern genannt wurde, seit sein Vorfahr, der Königssohn Alphonse von Poitiers, es im vergangenen Jahrhundert in seinen Besitz gebracht hatte. In unmittelbarer Nachbarschaft der Louvre-Festung, grenzte das Anwesen an das
Hôtel de Bourbon
und die Bastionen der Stadtmauer.
    Die Burg von Faucheville hatte sie nicht auf den Prunk dieses Domizils vorbereitet. Geblendet vom Glanz der farbigen Steinfliesen, der Eleganz der geschnitzten Türen, dem Übermaß an Wandbehängen, Schauschränken und Ziergegenständen, wusste sie nicht, wohin sie zuerst schauen sollte.
    »Setz dich und warte hier auf mich«, sagte Adrien unvermittelt und deutete auf eine Fensternische, die mit farbenprächtigen Polstern ausgelegt war. »Mein Gespräch mit Madame Jeanne wird nicht lange dauern. Sobald man dich ruft, trittst du ein und entbietest ihr deinen Respekt. Alles Weitere wird sich dann von selbst finden.«
    Er warf einen Blick über die Schulter, ehe er durch die Flügeltür trat, die zwei Bewaffnete für ihn aufhielten. Wie ein Kind kauerte sie auf einem Kissen, die Hände über dem einfachen Leinenkittel gefaltet. Am liebsten wäre er noch einmal umgekehrt, um ihr Mut zuzusprechen, aber man wartete bereits auf ihn.
    »Ihr seid zurück.« Prinzessin Jeanne reichte dem Gefolgsmann ihres Mannes die Hand zum Kuss. »Ihr kommt zur rechten Zeit, Flavy. Ich rechne mit Eurem besänftigenden Einfluss auf meinen Mann. Der Thronfolger drängt den König, die Lage in Flandern mit Waffengewalt zu unseren Gunsten zu wenden. Philippe engagiert sich so vehement in seiner Ablehnung dieses Kriegszuges, dass ich fürchte, er wird seinen Vater verärgern. Der König ist ohnehin in gereizter Stimmung, seit Isabelle nach England zurückgekehrt ist. Die Fröhlichkeit des Pfingstfestes gehört längst der Vergangenheit an.«
    Dass sie so ohne jede Vorrede auf ihre Sorgen zu sprechen kam, war ein Vertrauensbeweis. Seit Jeanne vor fünf Jahren Philipp von Poitiers geheiratet hatte, schätzte sie die Zuverlässigkeit und Ehrbarkeit Adriens. Er hielt sich aus allen Hofintrigen heraus, verweigerte sich albernen Moden und übte einen beruhigenden Einfluss auf ihren Mann aus, der unter seinen Brüdern mehr litt, als er zugeben wollte. Die aufbrausenden, unüberlegten Handlungen des Thronfolgers waren ihm ebenso zuwider wie der einfältige schlichte Geist seines jüngeren Bruders Charles, des Grafen von Marche. Manchmal so sehr, dass ihn der Zorn darüber krank machte. Dann bekam er grauenvolle Kopfschmerzen und litt Stunden, wenn nicht gar Tage, in absoluter Dunkelheit, weil er kein Licht ertragen konnte.
    »Er ist krank?«, fragte Adrien deswegen auch besorgt, aber Jeanne schüttelte den Kopf.
    »Bisher ist kein Anfall aufgetreten, und Euer Auftauchen wird seine Gedanken aufhellen. Hattet Ihr schöne Tage in Eurer Heimat?«
    Adrien nutzte die Frage, sein Anliegen zur Sprache zu bringen. Er bat die Prinzessin um ein Wort im Vertrauen, und sie schickte ihre Damen ohne zu zögern hinaus. Im
Hôtel d’Alençon
herrschte keine sonderlich strenge Etikette. Niemand dachte sich etwas dabei, dass lediglich eine korpulente Ehrendame über ihrer Stickarbeit sitzen blieb, um dem Anstand Genüge zu tun. Das Hofzeremoniell kam in diesen

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