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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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Beste für sie gewollt und das Schlimmste damit heraufbeschworen. Ihr durfte nichts geschehen, sonst würde er seines eigenen Lebens nicht mehr froh werden.
    Sie musste fort. Nur – wohin sollte er sie bringen? Wo gab es Sicherheit für Mahauts unerwünschte Tochter?
    * * *
    »Das soll eine Mahlzeit sein?«
    Die Nonne, die das Essen gebracht hatte, war sofort wieder verschwunden. Blanche betrachtete voll Entsetzen das Servierbrett. Drei Scheiben altbackenes Brot, eine Schale mit dünner Graupensuppe und ein Krug Wasser befanden sich darauf.
    »Das
ist
eine Mahlzeit«, entgegnete Marguerite nüchtern. Sie brach ein Stück Brot ab, tauchte es in die Suppe und schob es in den Mund. Sie aß es mit Todesverachtung.
    »Greift zu«, forderte sie auch die beiden anderen auf. »Wer weiß, wann wir wieder zu essen bekommen. Nach der Urteilsverkündung konnten wir kaum mit gezuckerten Mandeln und Zimtpudding rechnen.«
    »Wie kannst du nur so gelassen bleiben?«, lamentierte Blanche.
    »Jammern und Klagen hilft uns auch nicht weiter«, antwortete Marguerite. »Teile dir deine Kräfte ein. Du wirst sie brauchen. Unser Urteil ist erbarmungslos, aber es lässt Raum für Hoffnung. Jede Verbannung kann auch wieder aufgehoben werden.«
    Jeanne teilte weder die Spekulationen, noch aß sie. Entsetzen und Übelkeit verschnürten ihr den Magen. Der bloße Gedanke an Nahrung widerstrebte ihr. Die ganze Zeit musste sie an ihre Kinder denken.
    Was würde aus ihnen werden? Der König hatte kein Wort über ihr Schicksal oder das von Marguerites Tochter verloren. Konnte sie auf Philippe bauen? Würde er seinen Töchtern die Fehler der Mutter anlasten? Im Kapitelsaal, an der Seite seines Vaters, hatte er nur einen einzigen, düsteren Blick für sie gehabt.
    »Ich soll Euch in die Kapelle begleiten, Madame.«
    Jeanne fuhr aus ihren Grübeleien und starrte Schwester Bertrada an. Sie hatte Mutter Geneviève abgelöst. Die Zisterzienserin, deren kompakte Gestalt und breite Hände ihre bäuerliche Herkunft verrieten, stand vor ihr und wartete gelassen darauf, dass sie sich erhob.
    »Warum soll nur Jeanne in die Kapelle kommen?«, mischte Blanche sich ein. »Was ist mit uns?«
    »Weder der König von Navarra noch der Graf von Marche haben den Wunsch geäußert, Abschied von ihren Ehefrauen zu nehmen, Madame. Allein der Graf von Poitiers wünscht seine Frau in der Kapelle unter vier Augen zu sprechen.«
    Abschied von Philippe. Jeanne brachte kaum die Entschlossenheit auf, sich zu erheben.
    Müde sammelte sie ihre schwindenden Kräfte. Die schlaflose Nacht und der schlimme Tag, die hinter ihr lagen, forderten Tribut. Sie zog fröstelnd das weite Nonnenkleid enger um ihren Körper. Musste sie wirklich so vor Philippe treten? Geschoren, im groben Büßergewand?
    Blanche suchte ihre eiskalten Hände.
    »Sprich auch für mich, Jeanne. Philippe muss sich bei Charles für mich verwenden. Er muss mir helfen. Er darf nicht zulassen, dass wir verbannt werden. Er muss nach Mutter schicken. Mutter wird uns helfen. Wo steckt sie nur? Wir brauchen sie.«
    »Du weißt, dass sie bei unserem kranken Bruder ist.«
    Jeannes Antwort klang hohl. Blanche entging es, für sie zählte nur das eigene Befinden.
    »Charles liebt mich, er hat es mir tausendmal geschworen. Philippe darf nicht zulassen, dass er unter Louis’ Einfluss gerät, hörst du? Louis hetzt ihn gegen mich auf. Nur der Zänker ist schuld daran, dass wir so behandelt werden.«
    Ausnahmsweise brachte auch Jeanne weder Verständnis noch Mitleid für Blanches törichtes Verhalten auf. Sie befreite sich gewaltsam aus ihrem Griff und folgte der Nonne. Die Aussicht, etwas über ihre Kinder zu erfahren, war ihr wichtiger als Blanche. Sie beschleunigte ihre Schritte.
    Philippe stand vor dem Altar, unweit jener Stufen, auf denen sie in der vergangenen Nacht so verzweifelt gebetet hatte. Sie wagte erst näher zu treten, als Schwester Bertrada die Kapelle verließ. Erschüttert standen sie sich gegenüber.
    Jeanne war zu aufgewühlt, um die Form zu wahren. Sie griff ohne Nachdenken zum vertrauten Du, das sie nur unter vier Augen gebrauchten.
    »Ich hätte mich dir schon anvertrauen sollen, als ich nur Vermutungen hatte. Dein Vater verurteilt mich zu Recht. Ich habe meine Pflicht versäumt. Deinen Zorn und Unmut verdiene ich.«
    Es war Philippe nicht gegeben, seine innersten Gefühle auszudrücken. Alles drängte ihn danach, Jeanne einfach in die Arme zu nehmen, aber ihre äußere Erscheinung war ihm so fremd

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