Turm der Lügen
geworden, dass er es nicht wagte. Nahezu verlegen beschränkte er sich auf Beteuerungen.
»Zorn empfinde ich nur für Blanche und Marguerite. Auch für mich selbst. Es ist mir nicht gelungen, unseren Vater von deiner Unschuld zu überzeugen. Aber noch ist nicht alles verloren. Wir müssen ihm Zeit lassen. Sei gewiss, dass ich erst aufgeben werde, wenn er dich begnadigt hat.«
»Du glaubst mir, dass ich unschuldig bin.«
Jeannes Augen begannen zu brennen. Dass Philippe ihr aus eigenem Antrieb sein Vertrauen aussprach, erschütterte ihre Selbstbeherrschung.
»Denkst du, ich habe vergessen, dass du mich um ein vertrauliches Gespräch gebeten hast? Ich wünschte, ich hätte dich nicht ein ums andere Mal vertröstet. «
Unglücklich starrten sie sich an.
»Was wird aus unseren Kindern?«, fragte Jeanne schließlich leise. »Was tut der König ihnen an?«
»Nichts natürlich. Wo denkst du hin? Es sind unsere Töchter, Prinzessinnen aus königlichem Hause. Ich bin ihr Vater, und ich trage Sorge für ihr Wohlergehen. Wie kommst du darauf, dass ihnen Gefahr droht?«
Jeanne atmete tief durch.
»Sie werden nicht verstehen, warum ich nicht mehr nach Hause komme. Sie sind noch zu klein. Aber sie werden mich vermissen. Du musst ihnen sagen …«
Jeanne brach hilflos ab. Was sollte Philippe ihnen sagen? Wie konnte er den Kindern verständlich machen, was geschehen war?
»Ich werde ihnen versprechen, dass ihre Mutter bald zurückkommen wird. Dass sie nur für eine kurze Zeit fort musste, und dass sie jeden Tag an sie denkt, für sie betet und sie inniglich liebt.«
Jeanne konnte die Tränen nicht länger unterdrücken. »Jacquemine wird sie für mich in die Arme nehmen und trösten. Versprich mir, dass du ihr die Aufsicht über die Kinderstube lässt. Nimm den Mädchen nicht die vertraute Person.«
»Warum sollte ich das ohne Not tun? Aber glaubst du, dass sie in ihrem Alter drei so quirlige kleine Mädchen noch beaufsichtigen und lenken kann? Wird sie ihnen unbeschwert und heiter begegnen, wenn sie erfährt, was in Pontoise mit dir geschehen ist? Was meinst du? Gibt es unter deinen Damen nicht eine jüngere, energische Person, der du ebenfalls vertraust?«
»Séverine.« Jeanne musste nicht lange überlegen. »Meine Ehrendame Séverine Gasnay soll ihr dabei zur Hand gehen. Sorgst du dafür, dass Adrien Flavy sie sicher nach Paris bringt? Gewähre ihr deinen Schutz. Sie hat ein gutes Herz und die nötige feste Hand, um den Übermut unserer Mädchen zu zähmen. Ach, wie sehr ich mir wünsche, ich könnte meine Kleinen wenigstens noch einmal in die Arme schließen.«
Jeanne schwankte. Philippe vergaß alle Bedenken und nahm sie schützend in den Arm. Unter der groben Büßerkutte fühlte sie sich zerbrechlich und dünn an. Es brach ihm fast das Herz. Was hatte sein Vater aus seiner Frau gemacht? Nein, nicht sein Vater. Marguerite und Blanche waren die wahren Schuldigen. Er verwünschte sie.
»Ich werde bis zum Letzten gehen, um deine Freiheit zu erwirken. Das schwöre ich. Und du musst kämpfen und dafür Sorge tragen, dass du gesund bleibst.«
»Meine Freiheit …«, wiederholte Jeanne matt. »Glaubst du wirklich daran?«
»Sobald meine Schwester nach England abgereist ist, ja. Isabelle ist die treibende Kraft hinter unserem Vater. Er liebt sie, aber sie kann ihm nie verzeihen, dass er sie mit Edward Plantagenet verheiratet und nach England geschickt hat. Sie neidet uns jedes noch so kleine Quentchen Glück, weil sie selbst hoffnungslos unglücklich ist und keinen Ausweg sieht. Erst wenn Isabelle nicht mehr direkten Einfluss auf unseren Vater nehmen kann, ist es möglich, an sein Herz zu appellieren. Bis dahin müssen wir Geduld haben.«
»Wo wird mein Kerker sein?«, fragte Jeanne mit einem Funken Hoffnung in der Stimme.
»Ich kann es dir nicht sagen. Sicher scheint nur, dass er in einer Festung weit entfernt von Paris sein wird. Am Tag der Hinrichtung der Brüder Aunay sollt ihr aufbrechen.«
»Wann wird das sein? Ich würde viel darum geben, es nicht mit ansehen zu müssen. Die Bilder werden mich bis an mein Lebensende verfolgen.«
Philippe gab keine Antwort. Jeanne begriff, dass sie ihn nur quälte. Sie trat aus der Umarmung zurück, obwohl sie auf der Stelle seine Wärme schmerzlich vermisste.
»Ich würde Séverine gerne noch einmal sprechen, meinst du, es ist möglich? Es würde mich beruhigen, wenn ich ihr persönlich erklären könnte, worauf sie bei unseren Töchtern achten muss.«
Erleichtert, ihr
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