Turm-Fraeulein
Persönlichkeit; es war ihre Unschuld, ihre Naivität, die ihn reizte. Also hatte er ihr ganz wörtlich den Boden unter den Füßen fortgerissen und Befehl gegeben, sich ihrer Gefährten zu entledigen. Er handelte in der Manier mächtiger und zynischer Leute. Grundy hatte so etwas unter den Elfen einfach nicht erwartet, weil er angenommen hatte, daß sie in dieser Hinsicht der menschlichen Gesellschaft überlegen seien. Aber man lernte nie aus!
Der Gedanke daran, was Prinz Bohrer womöglich soeben Rapunzel antun mochte, spornte Grundy wieder an. Seine Arme waren gefühllos, doch er bewegte sie, hakte krallenartige Hände über die Stufen und kämpfte sich hinauf. Langsam mußte er der Sache näher kommen! Immerhin hatte er es schon viel weitergebracht, als er nach den ersten fünfzig Stufen für möglich gehalten hatte.
Über sich erblickte er eine Lichtritze. Sie war wirklich sehr schwach, doch hatte er bereits soviel Zeit in der Finsternis verbracht, daß die Beleuchtung seinen Augen sehr hell erschien. Der Grabbler hatte nicht gelogen!
Grundy spürte seine Arme und Beine nicht mehr wirklich; sie schienen sich von seinem Körper abgelöst zu haben. Doch er stieg immer weiter hinauf, bis er die Ritze erreicht hatte. Dann spähte er hindurch.
Er sah die Küche der Elfen. Dort befanden sich ein Herd und Arbeitsflächen. Ein Elfenkoch machte sich gerade an die Arbeit. Die Ritze lag hinter dem Herd, vielleicht war sie durch die trockene Hitze entstanden. Der Herd schien aus Holz zu sein, was Grundy erstaunte; was würde in einem solchen Herd wohl verbrannt und wie blieb er intakt? Offensichtlich funktionierte er jedoch. Die Wände des Raums wirkten laubartig, und die Arbeiter achteten sorgfältig darauf, stets nur auf die darunter befindlichen Äste zu treten und nicht auf Zweige oder Blattwerk, um nicht in die Tiefe zu stürzen. In einer Elfenulme ging weitaus mehr vor, als jeder Außenstehende geahnt hätte!
Grundy kletterte weiter, etwas ermuntert von der Tatsache, daß der qualvolle Aufstieg ihm immerhin diesen Zugang verschafft hatte. Er wollte zwar nicht zur Küche, er wollte in die Gemächer des Prinzen. Was er dort allerdings tun würde, wenn er sie entdeckt hatte, wußte er nicht, doch dieses Problem mochte sich erst später stellen.
Weiter oben entdeckte er auf der gegenüberliegenden Seite erneut eine Spalte. Diese öffnete sich auf den Kinderhort, dort schliefen Elfensäuglinge in Laubwiegen. Windstöße setzten diese Wiegen in Bewegung, die sich auf den kleineren Ästen befanden, die sich wiederum unter ihrer leichten Last sanft bogen. Die ganze Sache wirkte äußerst praktisch ausgedacht.
Auf einer höheren Stufe befand sich das Nähzimmer. Dort arbeiteten Elfenmaiden an einem Tisch, nähten Kleidung zusammen und plapperten fröhlich. Grundy machte eine Pause, um ihnen zuzuhören.
»… und der Drache war zahm«, sagte eine von ihnen gerade. »Sie sind darauf geritten, aber Prinz Bohrer hat trotzdem befohlen, daß er beseitigt werden soll.«
»Das ist seltsam«, sagte eine andere. »Wir haben doch noch nie harmlosen Wesen etwas angetan.«
»Ist euch etwas aufgefallen?« fragte die erste. »Der Prinz benimmt sich schon den ganzen Tag so seltsam. Ihr wißt doch, wie er immer seine Hände auf uns legt und so tut, als wäre es ein Zufall?«
»Das liegt daran, weil er nicht mit gemeinen Mädchen herumtollen soll«, sagte die dritte. »Aber bis er eine geeignete königliche Braut aus einem anderen Reich gefunden hat…«
Die zweite rieb sich ihr Hinterteil. »Eines Tages werde ich ihm mal ›ganz aus Versehen‹ einen Teller Schleim auf seine Füße fallen lassen!«
»Das sage ich ja gerade«, meinte die erste. »Letzte Nacht, als ich die Kerzen in seinem Gemach auswechselte, erwartete ich, daß er wieder nach mir grabschen würde, wie er es immer tut, doch er starrte mich eigentlich nur an, völlig verwirrt. Ich fragte ihn, ob er in Ordnung sei, aber er meinte nur knurrig, ich solle mich gefälligst um meine eigenen Sachen kümmern. Er hörte sich seltsam an. Ich dachte, daß er möglicherweise unter einer königlichen Unpäßlichkeit leide, war aber sehr froh, dort immerhin ohne Handgreiflichkeiten wieder hinauszukommen. Jetzt, nach dieser Drachengeschichte, bin ich allerdings nachdenklich geworden.«
»Er grabscht zwar, aber er ist doch nett«, meinte die dritte. »Ich habe noch nie gehört, daß er jemals einem freundlichen Wesen ein Leid angetan hätte.«
Dann betrat eine Elfenmatrone den
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