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Turm-Fraeulein

Titel: Turm-Fraeulein Kostenlos Bücher Online Lesen
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Kreaturen denken, durch welche die Gier der Seevettel befriedigt werden mußte.«
    »Seevettel?«
    »Sie ist es, die den Turm baute. Eine schreckliche Hexe, die Geißel der See.«
    »Ich bin mir nicht sicher, daß mir die Sache sonderlich gefällt«, meinte Grundy. »Ich soll auf dem Ungeheuer Unterm Bett zum Elfenbeinturm reiten, wenn ich einen verschollenen Drachen retten will.«
    »Ein Drachenmädchen in Gefahr?« wollte das Ungeheuer interessiert wissen.
    »Nein, es geht um Stanley Dampfer, – ein männlicher Drache, der früher in der Spalte lebte.«
    »Oh, der Drache! Ich habe mich schon gewundert, weshalb man ihn vor kurzem durch ein weibliches Exemplar ersetzt hat. Aber wenn der im Elfenbeinturm gefangen sein sollte…«
    »Da bin ich mir gar nicht sicher«, gestand Grundy. »Ich habe gehört, daß tatsächlich Rapunzel im Turm lebt, und die weiß vielleicht, wo Stanley ist.«
    »In diesem Turm gibt es eine Damsell? Dann muß sie in Gefahr sein!«
    »Nun, ich weiß eigentlich nichts über sie, nur daß sie eine Brieffreundin von Ivy ist, der Tochter des Menschenkönigs.«
    »Wenn die sich in diesem Elfenbeinturm befindet, dann ist sie eine Gefangene der Seevettel und schwebt mit Sicherheit in Gefahr!«
    Grundy begriff, daß diese Interpretation durchaus ihre nützlichen Seiten hatte. »Möglicherweise. Vielleicht bedarf sie der Rettung.«
    »Ich hasse den Elfenbeinturm und ich hasse die Seevettel!« tutete das Ungeheuer voller Leidenschaft. »Diese Damsell muß ich einfach retten.«
    »Nun, da ich sowieso dorthin muß…«
    »Ja, ja, ganz gewiß«, stimmte das Ungeheuer zu. »Wir müssen uns sofort auf den Weg machen. Kaum auszudenken, welche Greuel die Seevettel dieser Damsell täglich zufügen mag!«
    »Um ehrlich zu sein, hat Ivy nichts über irgendwelche Greuel gesagt«, warf Grundy ein. »Aber wir wollen sie retten. Wir können aber erst gegen Abend los, weil ich nämlich Snorty und sein Bett mitnehmen muß.«
    »Unmöglich!« tutete das Monster.
    Grundy überlegte schnell. »Nachts loszureisen wäre ohnehin besser, weil das die Seevettel täuschen kann.«
    Das Ungeheuer überlegte. »Also gut, warten wir.«
    Grundy hatte sich durchgesetzt. Doch irgendwie beruhigte ihn das nicht. Was war nur an dieser Seevettel dran, daß sie sogar ein solch gewaltiges Ungeheuer in Angst und Schrecken versetzen konnte, obwohl sie inzwischen nicht einmal mehr nach Elfenbein trachtete?
    Grundy hätte sich am liebsten ins Bett gelegt und sein Nickerchen fortgesetzt, fürchtete aber, daß das ungeduldige Ungeheuer es sich noch anders überlegen und ohne sie davonschwimmen würde, wenn es zuviel Zeit zum Nachdenken hätte. Also entschied er, das Monster irgendwie zu beschäftigen. Und die beste Methode, um dies zu erreichen, das wußte er, bestand darin, es dazu zu bringen, von sich selbst zu erzählen.
    »Wie bist du eigentlich zu dem Ruf gekommen, daß du Damselln in Gefahr vertilgst?« fragte er.
    »Ach, das ist eine lange und traurige Geschichte, voller Ironie«, tutete das Ungeheuer und schleppte sich zum Wasser zurück.
    Genau das konnte Grundy gebrauchen: eine Geschichte, die das Wesen über längere Zeit beschäftigen würde. »Ich interessiere mich immer für die Wahrheit«, meinte Grundy ermunternd.
    »Nun gut, dann werde ich mich etwas bequemer plazieren und sie dir erzählen.« Das Ungeheuer erreichte die Wasserkante, schaufelte mit seinen Flossen ein bequemes Loch in den Sand und begann mit seiner Erzählung:
    »Alles fing an (erzählte das Ungeheuer) vor fünftausend Jahren in Mundania, auf ein paar hundert mehr oder weniger kommt es da jetzt nicht an. Dort hatte es anscheinend eine Reihe von Gewittern in einem Landgebiet gegeben, das Äthiopien genannt wurde (Mundanier haben sehr seltsame Ortsnamen), und die abergläubischen Eingeborenen glaubten, daß die Stürme aufhören würden, wenn sie die Tochter ihres Königs der See opferten. Das war natürlich Unfug; jeder Sturm, der auch nur einen Funken Selbstrespekt hat, würde die Damsell einfach nehmen und trotzdem weitermachen. Jedenfalls ketteten sie die wunderschöne Jungfrau namens An-dro-meda am Meeresufer an einen Fels und ließen sie dort allein.
    Nun war es reiner Zufall, daß ich mich gerade in der Nähe befand und durch die ortsansässigen Fische von der Sache erfuhr. Sie erzählten mir, daß dort ein wahrhaft köstliches Häppchen menschlicher Weiblichkeit und Schönheit direkt am Ufer ausgesetzt sei, und daß es niemanden habe, der ihm helfen könne.

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