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Turm-Fraeulein

Titel: Turm-Fraeulein Kostenlos Bücher Online Lesen
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Das machte mir zu schaffen. Eigentlich habe ich nicht besonders viel für Landlebewesen übrig und noch weniger für Menschen; aber wenngleich die Männchen ziemlich viel Ärger machen können, sind die Weibchen doch oft recht unschuldig. Und weißt du, sie war tatsächlich eine hübsche Person, reif und saftig und wohlproportioniert. Die Flut kam gerade auf, und ein merkwürdiger mundanischer Fisch, den man Hai nennt (ich hab dich ja gewarnt, was diese Namen angeht!) schwamm ständig im Kreis umher und wartete darauf, daß das Wasser hoch genug stieg, um auf sie zu schwimmen und sich etwas aus ihrem zarten Fleisch herausreißen zu können. Und selbst wenn der Fisch sie nicht auffressen sollte, würde sie von dem steigenden Wasser ertränkt werden, sie war ganz offensichtlich dem Untergang geweiht.
    Nun, ich beschloß also, etwas dagegen zu unternehmen. Ich war nicht allein auf das Wasser beschränkt wie dieser Fisch, wenngleich ich es auch vorziehe, unter anderem deshalb, weil es einen so behaglich trägt. Also schleppte ich mich an Land und näherte mich ihr. Ach, war das ein wunderhübsches Wesen! Wenn ich am Fleischfressen Gefallen gefunden hätte, hätte ich sie wohl von oben bis unten beschnüffelt. Sie hatte mehr Fleisch auf ihren Knochen, als ich in Jahrzehnten zu sehen bekommen hatte, und ihre Schinken waren wirklich recht üppig!
    Sie sah mich und stieß Schreie aus, vermutlich aus Freude, denn es war ja offensichtlich, daß ich gekommen war, um ihr zu helfen. Ich bohrte einen meiner Hauer in ein Glied der Kette, mit der ihr hinterer Fuß befestigt war, und riß diese aus dem Stein. Damit war sie befreit – doch wußte ich auch, daß es sinnlos sein würde, sie zu den Wilden zurückzubringen, die sie hier so grausam angekettet hatten. Ich versuchte ihr klarzumachen, daß sie nur auf meinen Rücken zu steigen brauchte, dann würde ich sie schon in eine angenehmere Gegend bringen, aber natürlich beherrschte ich ihre Sprache nicht. Also versuchte ich meine Absichten mit Gesten zu verdeutlichen, und ich glaube, daß sie auch begann, mich zu verstehen.
    Plötzlich kam aber dieser Idiot mit seinen geflügelten Sandalen vorbeigeflogen. Er trug ein Schwert im rechten Vorderfuß und einen runden Schild am linken Vorderbein, und ohne sich erst gründlich Klarheit über die Lage zu verschaffen, sauste er heran und stach mich mit seiner Waffe in die Schnauze. Nun ist meine Schnauze recht empfindlich, und er traf auch noch ausgerechnet eine Ader; Blut schoß hervor und spritzte über mein Gesicht bis in meine Augen. Hätte ich geahnt, was er vorhatte, so hätte ich es ihm niemals gestattet, näher zu kommen. Ich hätte ihn schließlich mühelos mit einem meiner Hauer in der Luft erwischen können. Aber ich hatte schon immer Schwierigkeiten, die Bösartigkeit von Fremden rechtzeitig einzuschätzen.
    Vorübergehend vom Blut in meinen Augen behindert und immer noch unwillig, das Ausmaß seiner Heimtücke zu erkennen, zog ich mich in tieferes Gewässer zurück, um meine Schnauze zu waschen. Das war sehr wirkungsvoll, und die Wunde schloß sich auch sofort, denn wir Ungeheuer sind ziemlich zäh.
    Inzwischen hatte aber der leichtfüßige Mann, der einen ganz komischen Namen hatte, irgend etwas Dämliches wie ›Per-see-us‹, die Damsell an sich gerissen und sie einfach davongetragen! Ich mag gar nicht darüber nachdenken, was ihr in der Gewalt dieses lüsternen Unholds geschehen sein mag. Doch ich konnte nichts dagegen unternehmen, denn als ich wieder an die Wasseroberfläche kam, befanden sie sich bereits in den Lüften.
    Später erfuhr ich dann, daß Per-see-us mich übel verleumdet hat, indem er der Damsell nämlich weismachte, daß ich gekommen sei, um sie aufzufressen, und daß er mich getötet habe. Natürlich stimmte beides nicht; erstens war ich gekommen, um sie zu retten, und was die Geschichte von meiner Tötung anging, so war das ja wohl stark übertrieben. Schließlich hatte dieser Kerl mir kaum mehr als einen Nadelstich versetzt, noch dazu ein feiger, heimtückischer, bei dem das Glück auf seiner Seite gewesen war. Aber die Menschen zogen es danach vor, zu glauben, daß ich der Bösewicht sei. Ich, der ich doch die Kette zerschmettert hatte, die sie ans Meer fesselte! Danach hatte ich eine noch schlechtere Meinung von den Menschen, das wirst du wohl verstehen!
    Doch immerhin erkannte ich, daß es notwendig war, Damselln aus ähnlich mißlichen Lagen zu retten, deshalb schwamm ich unentwegt die Küsten

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