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Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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und Strömung es treiben. Ich denke, er hatte keine Ahnung, ob es Tag oder Nacht war, wie lange das hier schon so ging, und überhaupt, dass vielleicht etwas nicht stimmte. Allein im Haus, abgeschottet von der Welt,
ohne Meilensteine, Ober-oder Seitengrenze, war er abgetrieben.
    Für einen Moment, zwischendrin, schärfte sich sein Blick, und er war in der Lage, mir zu erzählen, was geschehen war.
    Dorey war vor einem Monat ausgezogen. Wir arbeiteten damals in der zweiten Schicht, und als er kurz nach Mitternacht heimkam, fand er das Haus leer vor. Eine einzige Lampe brannte im Wohnzimmer, auf dem langen Tisch neben der Tür, wo sie immer die Post hinlegten. Am Ende des Tisches lag ein Stapel gebügelter Hemden. Daneben hatte Dorey Rechnungen in der Reihenfolge gelegt, in der sie fällig wurden, an die rückdatierte Schecks geheftet waren. Ihr Brief lehnte an der Lampe.
    Ich liebe dich, aber ich werde nicht
zurückkommen. Ich schicke dir eine Adresse,
wenn ich eine habe. Du bist natürlich jederzeit
willkommen, um Betty zu sehen.
Pass auf dich auf.
    Er war eher förmlich mit »Doreen« unterschrieben. Randy zog den Zettel aus seiner Hemdtasche und reichte ihn mir. Er war vom vielen Auf-und-zu-Falten an der Falz abgestoßen. Und er hatte Flecken.
    »Am Anfang bin ich gut zurechtgekommen«, sagte er. »Ich bin nach Hause gefahren, habe etwas gegessen, ein Bier getrunken, und alles war okay. Hab angefangen zu denken: Hey, ich komm da durch.«
    »Du hättest es mir erzählen sollen.«
    »Tja, es gibt eine Menge Sachen, die ich hätte tun sollen.«
    Wir redeten noch eine ganze Zeit, viel von unserem Gespräch ergab wenig Sinn, manches gar keinen, Zusammenhänge abgerissen, Sätze ohne Grammatik schwebten frei im Raum, dem Zuhörer blieb überlassen, sie zu interpunktieren oder zu analysieren. Schließlich ließ ich Randy am Küchentisch sitzen und ging zum Telefon im Flur. Er redete immer noch mit mir.
    Ich bemühte mich gar nicht erst, Sally Gene zu Hause anzurufen, aber nach einer Reihe von Versuchen erwischte ich sie in der psychologischen Abteilung des Baptist Hospitals. Als eine Krankenschwester ihr das Telefon reichte, nahm Sally Gene es entgegen und sagte: »Ich bin beschäftigt.«
    »Das bist du immer. Ich suche meine Lieblings-Sozialarbeiterin.«
    »Turner?«
    »Dein Lieblings-Fahrer. Aber dieses Mal bin ich derjenige, der eine Mitfahrgelegenheit braucht.«
    Ich erzählte ihr von Randy.
    »Verfügt er über eine gewisse Orientierung?«, fragte Sally Gene.
    »Sie kommt und geht. Für den Rest der Zeit - schwer zu sagen.«
    »Erkennt er dich?«
    »Ja.«
    »Und als du mit ihm gesprochen hast, war er in der Lage dazu, eine Reihe von Ereignissen darzustellen?«
    »Mehr oder weniger.«
    »Hat er gegessen?«
    »Wieder ja. Ich habe in den Kühlschrank geschaut und stapelweise Fertiggerichte gefunden.«

    »Alkohol?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Ich wäre überrascht. War nie ein Trinker, zwei oder drei Bier waren seine Grenze. Und ich glaube, die hat er nur getrunken, um sich anzupassen.«
    »Also, wonach suchen wir hier?«
    »Keine Ahnung. Diesmal sind wir auf deinem Schiff. Du bist der Skipper.«
    »Etwas außerhalb von dem, was ich gewohnt bin, womit ich Tag für Tag zu tun habe. Und es ist etwas her, seit ich meine Ausbildung gemacht habe. Was wir wollen, klar, ist, dass er Hilfe bekommt. Oder zumindest Beobachtung … Irgendein Zeichen dafür, dass er sich selbst in Gefahr bringt?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Wir wollen nicht, dass er seinen Job riskiert, also wollen wir ihn aus den öffentlichen Akten fernhalten.«
    »Wenn das möglich ist, super. Aber das Wichtigste ist, ihm zu helfen, aus dieser Sache wieder rauszukommen, was immer dazu nötig ist.«
    »Okay, hör zu. Lass mich ein paar Anrufe tätigen, und dann melde ich mich wieder bei dir. Wie lautet deine Nummer dort?«
    Ich gab sie ihr und ging wieder rein in die Küche, wo Randy inzwischen aufgehört hatte zu reden und eingeschlafen war, mit dem Kopf auf dem Küchentisch. Am Kühlschrank hafteten Magnete, die aussahen wie kleines Miniaturgemüse, Bündel von Coupons und Einkaufsquittungen. Ein Bild, das seine Tochter Betty vor Jahren gemalt hatte, hing unter einem Magneten, der zuerst so aussah wie ein Engel, aber sich beim näheren Hinsehen als ein Schwein mit Flügeln entpuppte.

    »Hey, du bist hier!«, sagte Randy.
    Eine Stunde später brachten wir ihn in die Southside Clinic. Gegründet von einem jungen Arzt aus dem Osten, einem dieser

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