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Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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Augen kehrten zu mir zurück. Ich hatte einen Klappstuhl bekommen, der offensichtlich für maximale Unbequemlichkeit entwickelt worden war. Er erinnerte mich an mein Etagenbett und die Toilette in meiner Zelle.
    »Sie tropfen Blut auf meinen Teppich.« Er drückte die Gegensprechanlage. »Schicken Sie Levison her«, sagte er, und dann, zu mir: »Keine Sorge«, und lächelte. »Das sind wir hier gewohnt. Und es ist nicht wirklich mein Fußboden, oder?«
    Petit war einer dieser Typen, der, wenn er Krankenhausverwalter gewesen wäre, sich später CEO genannt hätte, nur um ein bisschen großspuriger zu leben. Er trug einen
hellgrauen Anzug, in dem er so aussah wie ein Block Zement, auf dem ein Kopf balancierte. Der Kopf nickte und wackelte ständig, als sei er nicht richtig befestigt und könnte jeden Moment runterfallen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
    »Absolut nicht meiner. Es ist der Fußboden der Steuerzahler.«
    Sein eigener Fußboden, daran hatte ich keine Zweifel, war blitzblank gewienert. Von Häftlingen oder Wärtern oder vielleicht sogar von seiner eigenen, auf den Knien rutschenden Frau.
    »Sie gehen am besten da runter. Der Arzt wartet auf der Krankenstation.«
    Ich war fast durch die Tür, als er sagte: »Turner?«
    Ich hielt an.
    »Sie sind auf dem richtigen Weg. Wie lange noch, zwei Monate? Lassen Sie sich von denen zu nichts provozieren. Immer locker bleiben.«
    »Tu mein Bestes.«
    Als ich ging, schlurfte Levinson, siebzig und noch was alt, an mir vorbei, einen Eimer und einen Mopp in der Hand. Spritzflaschen und Putzlappen hingen an seinem Gürtel wie Waffen.
    Am nächsten Morgen griff mich dieser Kerl in der Dusche an. Ich sah ihn kommen, sah die Waffe, die er an sein Bein gepresst hielt, und den tödlich starren Blick in seinen Augen. Im letzten Moment ließ ich meine Hand vorschnellen und riss den Handballen hart hoch. Die Waffe, ein geschärfter Löffel, durchbohrte sein Kinn und durchstach ihm die Zunge. Er öffnete den Mund, versuchte etwas zu
sagen, und ich sah die Zunge darin schlagen, nur die Zungenspitze konnte sich noch bewegen, als er in der Dusche zusammensackte.
    War das jetzt genug? Musste ich ihn töten? Ich weiß es nicht. In jenem Moment sah es für mich so aus, als bliebe mir keine andere Wahl. Eine andere Litanei, ein weiteres der Gesetze, nach denen wir lebten, besagte: Wenn ein Mann dich angreift, mach ihn fertig.
    Genauso wenig meinten die Gerichte, sie hätten irgendeine Wahl gehabt. In ihren Händen erblühten meine drei Jahre Haft zu fünfundzwanzig.

Kapitel Neunzehn
    »Ich saß noch acht weitere Jahre, machte einen weiteren Abschluss in Psychologie, wieder einen Master, und begann darüber nachzudenken, ob ich darauf eine Zukunft für mich aufbauen konnte. Was hatte ich sonst, als Fundament? Als die vorzeitige Entlassung kam, wusste ich, dass ich als Therapeut arbeiten wollte. Ich ließ mich in Memphis nieder, machte die Runde bei Schul-Sozialarbeitern, Arztpraxen, Gemeindezentren und so weiter, stellte mich vor, hinterließ Visitenkarten und fing an, Klienten zu sammeln. Langsam am Anfang, und ich nahm jeden, der zu mir kam. Aber ich hatte eine Art Feingefühl, einen Instinkt für jene, die am Rande der Gewalt standen. Innerhalb eines Jahres waren das diejenigen, mit denen ich hauptsächlich arbeitete.«
    Sheriff Bates war nahezu der perfekte Zuhörer. Seine Augen ließen keine Sekunde von mir ab, als er sich in seinem Stuhl zurücklehnte, es sich bequem machte und mich wortlos ermunterte, weiterzureden. Dann setzte er sich auf: »Sie haben eine Arbeit gefunden, in der Sie gut waren. Verdammt wenige von uns haben dieses Glück.«
    »Ich weiß, glauben Sie mir. Wusste es schon damals.«
    »Aber Sie hörten auf.«
    »Ja, nach sechs Jahren.«
    Er wartete.
    »Ich bin nicht sicher, ob ich es erklären kann.« Wo ist das Drehbuch der Woche, wenn man eines braucht?

    Eine Drossel landete auf dem Fensterbrett und schaute zwitschernd zu uns rein.
    »Ist das die, die Don Lee gefüttert hat?«, fragte Bates.
    Tochter June nickte.
    »Und du hattest nicht das Geringste damit zu tun.«
    Als Antwort, die anscheinend ein alter Witz zwischen den beiden war, klimperte sie unschuldig mit den Wimpern.
    »Damals, als das Mädel so elf, zwölf Jahre alt war, tauchte sie jede Woche nach der Schule mit irgendeinem armen Waisenkind auf. Ein Kätzchen, ein Welpe, ein Vogeljunges, das angeblich aus dem Nest gefallen war, nicht mehr dran als ein Kopf, Füße und ein hungriger Schnabel.

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