Turner 01 - Dunkle Schuld
Zeit mit Ihrer Post aus?«, erkundigte ich mich.
»Mir ist ein Unterschied aufgefallen.«
»Freut mich zu hören.« Ich hörte, wie Moskitos dicht an meinem Ohr ihre enger werdenden Kreise drehten. Warum auch immer, offenbar habe ich ihnen nie besonders geschmeckt. Sie kommen vorbei, inspizieren mich und ziehen weiter.
»Ich habe mich gefragt, wie es sein kann, dass Sie drei
Monate lang überhaupt nicht bemerkt haben, dass keine Rechnungen mehr bezahlt wurden?«
»Guter Punkt.« Wir beobachteten eine Fledermaus, die durch das Mondlicht flatterte. Zweifellos schaufelte sie sich Schnaken, Moskitos und Motten rein, als sie da so flog. Freudig ist ein menschliches Wort, aber es war schwer, der Fledermaus zuzusehen, ohne dass es einem in den Sinn kam. »Meine Frau hat sich immer um die Haushaltsrechnungen gekümmert, hat Konten ausgeglichen, all das. Wenn irgendetwas Besonderes war, hat sie mich das wissen lassen. Dorothy ist in einem Pflegeheim. Ich habe sie vor zwei Wochen dort untergebracht. Alzheimer.«
»Oh, tut mir leid.«
»Ich habe lange Zeit gebraucht, um vor mir selbst zuzugeben, dass etwas ernsthaft nicht stimmte. Noch viel länger dauerte es, das auch vor anderen zuzugeben. Verdammt, ich wurde ja selber vergesslich, wissen Sie? Dorothy hat es immer gut überspielt. Und wenn uns etwas durch die Lappen ging und man uns drauf aufmerksam machte, war ich da, immer mit einer fertigen Ausrede für sie. Abgesehen davon bin ich so erzogen worden - und Sie auch, würde ich mal so annehmen. Egal, was in der Familie passiert, das kriegen wir schon irgendwie hin. Man passt halt aufeinander auf.«
Lonnie kam mit unseren Getränken raus, und die beiden unterhielten sich eine Weile, Smalltalk, über die Jagdsaison, die Ergebnisse der hiesigen Football-Mannschaft, solche Dinge, bevor der Bürgermeister sich entschuldigte, aufstand, seinen Drink in einem Zug austrank und ins Haus ging. Kurz darauf kam er wieder heraus, verabschiedete
sich von uns, ging mit großen Schritten durch das Tor und war verschwunden.
»Was meinen Sie?«, sagte Lonnie.
»Abgesehen davon, dass Sie das hier prima arrangiert haben?«
Es war inzwischen Nacht geworden. Weniger Moskitos, und die Zikaden waren wieder still. Tiefe Stille ringsum. Die Sterne strahlten, leuchteten intensiv weiß, als hätte man kleine Löcher in einen schwarzen Vorhang gestanzt. Sie gaben einem eine vage Vorstellung von dem gleißenden Licht, das dahinter lauerte, abwartend.
»Wollen Sie noch eins?«
Ich hielt meine halbvolle Flasche hoch.
»Ich lebe hier«, sagte Lonnie. »Manchmal …«
»Ich verstehe.«
»Der Mann ist sehr von sich eingenommen. Und ich bin mit vielem nicht einverstanden, was er tut. Vor ein paar Jahren hat der Stadtrat eine Verordnung durchgebracht, die vorschreibt, dass Mietshäuser innen liegende Sanitäranlagen haben müssen, Toiletten und Bäder. Wie sie das an ihm vorbei entschieden haben, ist mir ein Rätsel, denn fast alle dieser kleinen billigen Wohneinheiten in der Gegend gehören ihm - die ganzen Buden aus Sperrholz, alten Brettern und Teerpappe südlich der Innenstadt.«
Ich hatte sie gesehen. Zum Teufel, mit solchen Buden war ich aufgewachsen.
»Toiletten kamen da rein, wo es am einfachsten war. In
Küchen, Schlafzimmer, auf die Veranda. Die Handwerker hatten das alles innerhalb einer Woche fertig. Ich gehe kurz rein, um noch was zu trinken zu holen. Sind Sie sicher, dass Sie kein Bier mehr wollen?«
Er war gleich wieder zurück, doch statt sich hinzusetzen, blieb er stehen und schaute zu den dunklen Silhouetten der Bäume hinauf.
»Er braucht weder mich noch irgendjemand anderen, der anerkennt, was er tut. Ich brauche das auch nicht. Muss ihn nicht anerkennen, meine ich.«
»Ich verstehe, Lonnie. Das tue ich wirklich.«
»Hat er Ihnen von Dorothy erzählt?«
Ich nickte.
»Hat man schon lange kommen sehn. Wir alle haben’s gesehen, lange vor ihm. In gewisser Weise hat es ihn genauso verändert wie sie. Hatten nie Kinder, es gibt nur sie beide. Muss einsam sein, der Mann.«
Er setzte sich wieder.
»Wundervolle Nacht.«
Ich grunzte zustimmend, und wir saßen schweigend nebeneinander und lauschten dem Wasserstrahl, ein Geräusch, das aus der Küche kam, wo Shirley das Geschirr abwusch. Irgendwo in der Nähe quakte ein Ochsenfrosch.
»Vermissen Sie die Stadt? Ich weiß, das habe ich schon mal gefragt.«
»Die Stadt, ja. Aber nicht den Menschen, zu dem ich in der Stadt geworden bin.«
»Ist er wirklich so anders?«
Ich
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