Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis

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woraufhin eine Welle von Gejodel durch den Raum ging.
    Val und ich gingen gegen neun und bahnten uns unseren Weg durch die Menge und den vollen Parkplatz. Bei ihr holten wir uns Aufschnitt, Käse, saure Gurken, Oliven und Äpfel aus dem Kühlschrank und nahmen sie, mit weiterem Bier, mit auf die Veranda. Es war eine herrliche, klare Nacht mit Sternen wie Eiskristalle. Der Wind raschelte in den Bäumen. Eine Eule kreuzte den Mond.
    »Es ist schön, sich mit jemandem unterhalten zu können«, sagte Val. Sie stopfte sich ein Stück geräucherte Bologna in den Mund. Das halbe Pfund Wurst war als ordentlich gefrorener Stock aus dem Kühlschrank gekommen. (Leute aus der Gegend hier würden ihn Eisschrank nennen.) Wir hackten die Wurst in Würfel. »Auf mehr bin ich nicht aus, ich hoffe, Sie wissen das.«
    Genauso wenig wie ich.
    »Vermissen Sie es?«, fragte sie.
    »Jemanden zum Reden zu haben - oder mehr?«
    »Beides, nehme ich an.« Sie sah mich an. »Oder eines von beiden.«
    »Seltsamerweise nicht. Nicht wirklich.«
    Eine Weile lang sprach keiner von uns.
    »Ich hatte einen Partner, damals, als ich ein Bulle war. Seine Frau hatte ihn verlassen, das Kind mitgenommen, und sein ganzes Leben fiel auseinander. Eines Tages sagte
ich zu ihm, dass das hart sein müsse. Er sah zu mir rüber, da, in dem Streifenwagen. Beängstigend wäre, wie einfach es sei, meinte er.«
    Nach einem Moment sagte sie: »Ich verstehe«, und wir befanden uns immer noch in diesem Kielwasser einer wundervollen Nacht, zwei Menschen gemeinsam allein unter Sternen und Pekannussbäumen, die eigenen Geschichten fest in unsere Herzen hineingepackt, als wolle man sie beruhigen oder zum Schweigen bringen.

Kapitel Achtzehn
    Wenn du deine Zeit nicht nutzt, benutzt sie dich. Red nicht, mach. Legst Geld in den Hut für die, die demnächst abhauen. Verteilst deine magere Habe, kleine wertvolle Besitztümer - Laken, T-Shirts, ein Transistorradio mit extra Batterien, Bobs Bodyshop-Kalender -, wenn du gehst. Litaneien, Slogans, Gewohnheiten. Eine Welt voller Dinge, Objekte. Als ob die Enge und Untätigkeit unseres täglichen Daseins sich selbst Wörter aus unseren Leben herausschnitt. (Und die überall vorhandene Gewalt war ein Versuch, sie wieder einzusetzen?) Alles endete ein paar Meter vor unseren Augen; das musste es. Um über die Runden zu kommen, hast du dich in dich selbst zurückgezogen, bist kurzsichtig geworden. Und bald schon hat sich auch die Fantasie verschlossen.
    Litaneien - und viel Zeit, die man auf die Fugen von Betonblöcken starrte. Sie zählte. Verfolgte, wie an der einen Seite der Zelle es vielleicht ein Zentimeter bis zur obersten Mörtelreihe war und an der anderen Seite fast vier. Oder wo ein vorheriger Insasse den Mörtel zwischen den Fugen weggekratzt hatte, neben seinem Bett oder der Toilette. Hat er so viel Zeit auf der Toilette verbracht? Wenn man sich langweilt oder jemandem oder etwas blind vertraut, meint man, die seltsamsten Dinge tun zu müssen.
    Neunhundertundvierundsechzig Betonsteine von dort, wo ich saß.

    Nach sechs Wochen schrieb ich nach New Orleans und Chicago und bat um Mitschriften von Vorlesungen. Nichts von diesem Unterfangen erwies sich als einfach. Obwohl einem zwei Briefe pro Monat zustanden, war das Versenden von Geld eine knifflige Angelegenheit, und beide Schulen verlangten Gebühren in Höhe von fünf Dollar. Der Gefängniskaplan kam mir zur Hilfe. Diese Mitschriften dann zu lesen, nachdem ich sie endlich bekommen hatte, war in etwa so, als sähe ich ein fremdes Gesicht im Spiegel. War ich wirklich so ein Greenhorn? Hatte ich wirklich einen Kurs mit dem Titel »Revolutionäre Prinzipien« gewählt, und worum in aller Welt ging es dabei? Zwei Semester Mittelalterliche Geschichte? Davon war bei mir kein einziger Begriff, keine Schlacht oder irgendein Datum hängen geblieben.
    Wer war diese Person?
    Jemand, der ganz offensichtlich in einem Schnellzug saß und nur wenige Haltestellen von seinem Master’s Degree entfernt war. Seltsam, dass ich das vergessen hatte. Noch seltsamer, wohin alles - all diese Stunden und Jahre des Durchforstens, das Wissen, das daraus resultierte, die Ambitionen, die dahin geführt hatten - verschwunden war. Nichts davon schien noch ich selbst zu sein.
    Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schwer unter einem Mithäftling im Bett über mir gelitten, der immer laut vor sich hin murmelte, wenn er in der Bibel las, und einem anderen, der sich Donald Goines’ Whoreson, Swamp Man und