Turner 01 - Dunkle Schuld
wuchs. Arzt-und Pflegekosten verschlagen einem die Sprache. Und der Ehemann zahlt nicht einen Penny Unterhalt.«
»Also haben Sie es auf ihn abgesehen.«
»Schwerlich. Ich vertrete die Mutter, aber wir sind in der Verteidigung. Er klagt auf das volle Sorgerecht.«
Was sollte ich dazu sagen?
»Kein Gedanke, dass er das Kind will. Susie ist ein Symbol, ein Besitz. Wie ein Sofa oder ein Gemälde, der Inhalt einer Geldkassette.«
»Er will seine Frau für immer und ewig verletzen, schlimmer als je zuvor.«
Val nickte.
Ich wurde gewahr, dass sich seit einiger Zeit hinter unseren Rücken etwas tat, an der hinteren Wand. Jetzt pustete jemand in ein Mikrofon und Musik ertönte. Ein einfacher Riff auf einer Gitarre, dann das Anschwellen einer Steelguitar, ein langes Bass-Glissando, Schlagzeug. Ich drehte mich auf meinem Barhocker, und Val tat das Gleiche. Wir sahen uns an und gingen hinüber zu einem Tisch nahe der Bühne.
»Diese Jungs sind erstaunlich«, sagte sie. »Warten Sie’s ab.«
Interessanterweise war der Leadsänger und Kopf der Band schwarz - das erste schwarze Gesicht, das ich mich erinnere gesehen zu haben, seit ich hergezogen war. Abgesehen von Adrienne natürlich, aber sie war ja ein Import. Nach mehreren Hank-Williams-Songs und einer recht guten Coverversion von »San Antonio Rose« machte die Band mit Sonny Boy Williamson’s »Gone So Long« weiter und nahm sich seiner in derselben Weise an, wie die frühen Texas String-and Swing-Bands Songs wie »Sittin’ on Top of the Bay« und »Milk Cow Blues« geklaut und sich zu eigen gemacht hatten.
Gutes Zeug, gefolgt von mehr. Alles reinster Amalgam-Country, die Gesangsstimme ruft, die Gitarre antwortet, alles über einem soliden Fundament von Steelguitar und Bass. Ein paar Takte aus Appalachian-Balladen, Delta Blues, Early Jazz und Hawaiian durchzogen das Ganze wie Gemüse in einem deftigen Eintopf.
»Ich hab mich mal in einen Mann verliebt, weil er in seiner Wohnung nichts anderes hatte als Kassetten von George Jones«, sagte Val in einer Pause.
»Ist das etwas, das ich wissen sollte?«
»Denken Sie drüber nach. Es ist ein besserer Grund als die meisten anderen. Ich fand, an einem Mann, der Jones so zugetan ist, musste etwas dran sein. Dein Liebhaber verliert seinen Job, seine Haare und sein Interesse an dir, wird fett und sitzt nur noch furzend auf dem Sofa. Aber diese Aufnahmen bleiben, werden immer noch dieselben sein, der alte George, der sein ganzes Herz in jede einzelne Note legt. Der immer so klingt, als ringe er mit sich selbst, als quetsche er die Noten durch eine Art emotionaler oder
physischer Verstopfung. Seine Stimme stolpert, kriecht und erhebt sich, immer hart an der Grenze dessen, was Stimme eigentlich ist, was ein Mann fühlen kann.« Der Bodensatz eines vierten Bieres verschwand durch ihre Kehle. Sie winkte ein neues heran. »Tut mir leid. Ich nehme diese Musik ernst. Das tun heutzutage nicht mehr besonders viele. Lange Zeit war das alles, was von unserer ursprünglichen Musik übrig geblieben ist. Jetzt ist sie endgültig verschwunden, oder doch zumindest fast. Ist nur ein weiterer Teil des kommerziellen Einheitsbreis geworden.«
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Eldon Brown zu uns gesellt, der Sänger der Band, und - wie sich herausstellte - ein Bekannter von Val. Er saß da, die dünnen Beine übereinandergeschlagen, und trank aus einer Tasse von der Größe eines Goldfischglases. Tee mit Honig und Zitrone, wie er sagte. Obwohl seine Gesang absolut authentisch und waschecht klang, lag in seiner Sprechstimme nicht mal eine Spur von Süden oder dem Hügelland. Hoboken, New Jersey, antwortete er, als ich ihn danach fragte.
»Die Familie ging während des Krieges in den Norden auf der Suche nach Arbeit. Ich wuchs auf mit den Soul-und Gospel-Radiosendern der Gegend und diesem Monster-Country-Sender drüben in Carlyle, Pennsylvania. Kam wieder runter in den Süden auf einer Tour mit einer Rythm & Blues-Band, als Gitarrist, vor neun Jahren. Eine dieser Spontan-Entscheidungen. Nach der dritten, vierten Woche, wir spielten in einer Bar in Clarksdale, geht der Mann am Bass plötzlich mit einem Austern-Messer auf den Sänger los. Ich weiß bis heute nicht, wieso. Hinterher war nicht mehr viel von der Band übrig, aber ich blieb. Hab
seitdem regelmäßig gearbeitet. Und wo wir gerade davon sprechen …«
Er entschuldigte sich, um wieder seinen Platz auf der Bühne einzunehmen, und legte los mit einem kompromisslosen »Lovesick Blues«,
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