Turner 02 - Dunkle Vergeltung
aussah, als gehöre er hierher, dann sei das höchstwahrscheinlich mein Nachbar Nathan.
»Du meinst, wie wenn einer der Bäume versuchen würde, sich hier breit zu machen?«
»Er wird nicht ins Haus kommen, aber ja, das ist Nathan.«
June saß auf der Veranda, als ich zu ihrem Haus einbog; ihre nackten Füße baumelten über den Rand und berührten fast den Boden. Das Haus stammte aus den dreißiger Jahren. Damals war Hochwasser ein fester Bestandteil des Lebens gewesen, daher waren die Häuser erhöht gebaut.
Ich stieg aus dem Chariot, ging aber nicht weiter, während meine Augen in alter Gewohnheit über die Fenster, die Veranda und Bäume in der Nähe wanderten, nach irgendetwas suchten, das nicht ins Bild passte.
»Mit dir alles in Ordnung, June?«
»Alles bestens.« Sie ließ sich die wenigen Zentimeter auf den Boden herab und richtete sich auf. »Danke, dass du gekommen bist.«
»Keine Ursache.«
»Erlaubnis erteilt, an Bord kommen zu dürfen.«
»Was?«
»Das sagen sie doch immer in alten Filmen … Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen.«
Als ich mich in Bewegung setzte, drehte sie sich um, ging die Stufen hinauf durch die Tür und ins Haus. Ich fand sie direkt hinter der Tür stehend, wo sie die Trümmer
begutachtete. Jede Schublade war herausgezogen und umgedreht worden, Kissen aufgeschlitzt, Stühle, Tische und Regale auseinandergebrochen, Lampen und Geräte umgestoßen.
»So ein Einbruch hat was Komisches«, sagte sie. »Wenn es mal passiert ist, rechnet man irgendwie damit, dass es jetzt ständig passiert, verstehst du? Als würde sich rausstellen, dass die Welt nun mal so ist und nicht anders.« Sie drehte sich zu mir um. »Natürlich verstehst du das. Hättest du gern was zu trinken? Ich habe hier irgendwo eine Flasche Scotch für Dad.«
Ich sagte »Klar doch«, und sie verschwand in die Küche, um ihn zu holen.
»Macht es dir was aus, wenn wir wieder nach draußen gehen?«
Nichts hatte sich verändert dort draußen. Ich setzte mich neben sie auf die Kante der Veranda.
»Als du verletzt wurdest«, sagte ich nach einer Weile, »da hast du doch eine Handfeuerwaffe getragen.«
»Und du hast mich nie nach dem Grund gefragt.«
»Bisher nicht.«
Früher hatte ich nie viel von Lonnie in ihr gesehen. Jetzt, als sie den Kopf einzog und in die Ferne starrte, sehr wohl.
»Ich hatte einen Lehrer, damals, in der Zwölften. Mr. Sacher. Er hatte im Koreakrieg beide Arme verloren. Das Lehrbuch nahm er immer zwischen die Handballen seiner Armprothesen und legte es behutsam auf den Tisch. ›Wir sind alle in einer Sache gut‹, sagte er uns immer
wieder. Das Problem ist, herauszufinden, was genau diese eine Sache ist.
Mr. Sachers war ein geborener Komiker. Er nahm ein paar von uns in seinem Wagen mit. Dann verdrehte er die Augen in gespieltem Entsetzen und riss die Hände in die Höhe. Aber er lenkte mit den Knien. Er brachte eine Gitarre mit und unternahm fürchterliche Versuche, darauf zu spielen.
Kann gut sein, dass Mr. Sacher Recht hatte. Die eine Sache, bei der ich anscheinend gut bin, ist es, mir immer schlechte Männer auszusuchen.«
»Das hier«, sagte ich und erinnerte mich an das blaue Auge, das sie zu verbergen versucht hatte, »ist doch wohl kaum das Werk dieses Burschen, mit dem du vor ungefähr einem Jahr zusammen warst, oder?«
»Nein. Aber es gab andere.«
»Kann einer von denen dafür verantwortlich sein, was da drinnen passiert ist?«
»Ich glaube nicht.«
»Dann war es vielleicht purer Zufall.«
Wir saßen schweigend da.
»Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken, ob du nicht wieder zur Arbeit kommen möchtest.«
»Ich weiß nicht …« Ich bemerkte die Veränderung in ihren Augen. »Du hast Recht. Gib mir noch einen Tag, um das Chaos hier in Ordnung zu bringen. Übermorgen bin ich dann wieder da. Wird mir guttun, wenn ich mich auf etwas anderes konzentrieren kann.«
»Super.« Ich trank den Scotch aus, stellte das Glas
auf die verzogenen Bretter der Veranda. Diese Bretter sahen so alt und ungebändigt aus wie die Bäume um uns herum. »Mabel sagte, du hättest nach mir verlangt.«
»Hab ich.«
»Wie willst du das hier regeln?«
»Da gibt’s nicht viel zu regeln, oder?«
»Da wäre Lonnie.«
Sie nickte. »Ich dachte, du könntest mit ihm reden, ihm erzählen, was passiert ist. Wenn ich damit zu ihm komme, ist alles nur meine eigene Schuld. Die Versager, mit denen ich mich rumtreibe. Wann werde ich endlich was dazulernen. Mein vergeudetes Leben
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