Turner 02 - Dunkle Vergeltung
lehnte ab.
»Ich muss mich bei dir für das bedanken, was da unten passiert ist, J.T. Aber ich muss dich auch fragen, warum du hier bist.«
Sie strahlte eine eigentümliche Energie aus, diese große Intensität bei allem, was sie tat. Jetzt war sie in ihren Augen zu sehen, in der Art und Weise, wie sie sich in der Sitznische vorbeugte.
»Ich wollte meinen Vater treffen«, sagte sie. »Es ist wirklich so einfach. Glaube ich.«
»Verständlich. Wie viel Urlaub hast du noch?«
»Es ist erst meine erste Woche.«
»Irgendwelche Pläne?«
Sie beträufelte ihr letztes Stück Toast mit Pfeffersoße und ließ es im Mund verschwinden. Ein guter Esser.
»Um die Wahrheit zu sagen, ich hab schon überlegt,
ob ich nicht vielleicht hier bleiben könnte. Bei dir. Falls du nichts dagegen hast.«
»Ich denke, das könnte mir gefallen.«
»Also abgemacht.« Sie langte über den Tisch, um meine letzte Tomatenscheibe mit ihrer Gabel aufzuspießen.
J.T. befand sich im Halbschlaf, als wir zur Hütte hinausfuhren. Als wir den See erreichten, schlug sie die Augen auf und schaute aus dem Fenster, auf das im Licht schimmernde Wasser. »Es ist, als wäre der Mond heruntergekommen, um bei uns zu wohnen«, sagte sie. Trotz ihrer Proteste bestand ich darauf, dass sie das Schlafzimmer nahm. Ihr Atem ging bereits sehr regelmäßig, als ich Val anrief. Anfangs hatte ich weder ein Telefon besessen noch eines haben wollen. Aber die Arbeit bei Don Lee machte es nötig, erreichbar zu sein. Also hatte ich jetzt eines. Und ich hatte ein Haustier, Miss Emily, das Opossum, deren Geschlecht nicht länger fraglich war, da sie unlängst in einem Schuhkarton neben dem Küchenherd vier winzige, nackte Miss Emilys zur Welt gebracht hatte.
Und ich hatte eine Tochter.
»Entschuldige, dass ich noch so spät anrufe«, sagte ich, als Val sich meldete. Im Hintergrund lief »Keep On the Sunnyside« von der Carter Family.
»Falls du dich überhaupt entschuldigen müsstest, dann dafür, mich nicht angerufen zu haben. Wie ist es da oben gelaufen?«
Ich erzählte ihr alles.
»Wow. Das hast du ja wie ein richtiger Cowboy geregelt!«
»Ist das von dir aus in Ordnung, Frau Anwältin?«
»Solange du nicht irgendwelche Haftbefehle mit nach Hause gebracht hast. Hoffe, es hat dir nichts ausgemacht, dass ich J.T. erzählt habe, wo du bist. Ist sie jetzt bei dir?«
»Sie schläft.«
Fetzen von »The Ballad of Amelia Earhart« im Hintergrund. There’s a beautiful, beautiful field, far away in a land that is fair .
»Tja … Mit einem Mal hast du eine Familie. Genau wie Miss Emily.«
»Ich hatte schon eine ganze Weile eine Familie.«
»Irgendwie ja.«
»Wie läuft’s auf der Arbeit?«
»Lass mich überlegen. Gestern hat der Richter ein kleines Kind nach Hause geschickt, dessen ältere Schwester, die schon seit acht Jahren nicht mehr zu Hause wohnt, eine eidesstattliche Aussage eingereicht hat, in der sie behauptet, über einen langen Zeitraum von ihrem Vater sexuell missbraucht worden zu sein. Der vierzehnjährige Brandstifter Bobby Boyd ist in die Jugendstrafanstalt überstellt worden, wo er sicherlich zum Hit des Monats wird und eine ganze Reihe neuer Überlebenstechniken lernt.«
»Also alles wie immer.«
»Genau.«
»Trotzdem, du bleibst und kämpfst weiter.«
»Lande aber doch nie einen Homerun. Manchmal gelingt uns aber immerhin ein Walk.«
Ich stand da und lauschte auf Vals Atmen am anderen Ende der Leitung. Aus der Küche kam ein schriller Schrei. Eines der Jungen, weil Miss Emily sich auf es gerollt hatte? Oder Miss Emily selbst, nachdem eines der Jungen zu fest in eine Zitze gebissen hatte?
»Wann sehe ich dich?«, fragte Val.
»Was hast du morgen vor?«
»Morgen ist Mittwoch, das ist immer ein harter Tag. Drei, vielleicht auch vier Gerichtstermine, muss mich in der Kaserne mit zwei Troopern wegen bevorstehender Verhandlungen besprechen.«
»Siehst du eine Chance, dass du dich zum Abendessen freimachen kannst?«
»Wird aber spät.«
»Wir könnten uns irgendwo mit dir treffen - wäre das besser?«
»Wir, hm? Das gefällt mir. Nein, ich werd’s schon schaffen. Du kannst so gegen sieben mit mir rechnen, ein bisschen später vielleicht.«
Augenblicke verstrichen.
»Ich zerbreche mir gerade den Kopf«, sagte ich, »aber ich kann mich nicht erinnern, dass die Carter Family bei ihren Aufnahmen jemals ein Banjo verwendet hat.«
»Du hast mich erwischt. Ich hab dich auf den Lautsprecher gelegt …«
»Dieserhalb also der fabelhafte
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