Turner 02 - Dunkle Vergeltung
wohlgemerkt nur zu Erkundungszwecken. Und bevor man sich versah, stand sie am Herd und holte sich einen Nachschlag von allem.
»Muss wohl im Blut liegen«, sagte sie, als sie zu uns zurückkehrte. »Schon komisch, um diese Uhrzeit zu essen, wie ein normaler Mensch. Normal bis auf das Essen hier, meine ich.« Sie aß ein oder zwei Gabeln, bevor sie fortfuhr. »Normalerweise arbeite ich abends
und nachts. Lieber als am Tag. Bei uns im Department wechselt man sich mit den Schichten ab, wie allgemein üblich, aber ich tausche, wann immer es geht. Die Stadt ist nachts anders. Man selbst ist anders.«
»Außerdem sind die meisten Vorgesetzten zu Hause und schlafen.«
»Auch das. Man ist wirklich draußen.«
Am Rand, ja. »Und nachts kommen auch die Kakerlaken raus.« Ein alter Spruch unter Männern des Gesetzes, wahrscheinlich schon seit den römischen Prätorianern. Ave Caesar, sagen sie hinter ihren Fackeln. Und hier kommen die Kakerlaken.
»Genau. Und so wie bei denen ist das die Zeit, zu der ich normalerweise esse. Riesige dampfende Berge schwer verdaulicher Speisen um zwei Uhr morgens. Rib-Eye-Steaks, zäh wie Schuhsohlen, Kartoffeln mit Chemiesoße, karamellisierte Burger, vulkanisierte Eier.«
»Essen, das sich einem sofort bleischwer auf die Hüften legt«, meinte Val und zitierte einen mindestens genau so alten Spruch.
»Aber nichts wie das hier, natürlich.«
Meine Tochter hatte ihren Humor nicht verloren. Bei der Arbeit, die wir tun, bei dem, was wir Tag für Tag zu sehen bekommen, ist das beileibe nicht bei allen so. Vertraue niemals einem Mann (oder einer Frau) ohne Humor. Das ist die erste und wichtigste Regel. Die andere erste und wichtigste Regel lautet natürlich: Vertraue niemals jemandem, der dir sagt, wem du vertrauen sollst und wem nicht.
»Die restliche Nacht und tagsüber hauptsächlich Kaffee«, fuhr J.T. fort, »vielleicht noch eine Schale Haferflocken, wenn der Papierkram erledigt ist. Dann ab nach Hause zu den Filmen, die ich mir am Wochenende ausgesucht habe, und danach, zwei oder drei Stunden später, schlafen, wenn ich Glück habe. Nachdem ich ungefähr um neun, zehn Uhr morgens nach Hause gekommen bin, bin ich nachmittags um drei wieder auf den Beinen. Mach mir erst mal eine Kanne Kaffee und trinke sie aus, während ich mir Cops , Judge Judy und all so was reinziehe. Hab immer noch Mutters alte Kaffeemaschine von Corningware und benutze sie täglich.«
»Die mit den blauen Blumen auf der Seite?«
»Genau die.«
»Und die macht immer noch trinkbaren Kaffee?«
»Nachdem ich das Ding ein paar Mal entkalkt und gereinigt habe, ja - sie hat lange auf dem Speicher gestanden.«
In dem Augenblick ging der Pieper los.
Ein großer Teil der telefonischen Dienstleistungen ist heutzutage automatisiert, aber in kleinen Städten wie unserer ist das »Fräulein vom Amt« immer noch aktuell. Sie tätigen für ältere oder behinderte Mitbürger die Verbindungen, fungieren als Telefonbuch, nehmen Notrufe entgegen.
Als ich die Nummer auf dem Pieper wählte, ging schon beim ersten Klingeln jemand dran.
»Tut mir leid, dass ich Sie störe, Deputy.«
»Sind Sie das, Mabel? Wie spät ist es? Elf Uhr abends? Machen Sie eigentlich nie Feierabend?«
»Nach sechs haben wir in der Vermittlung niemanden mehr, dafür ist kein Geld da, sagen sie. Also werden Notrufe zu meinem Privatanschluss weitergeleitet. Ich hab’s zuerst im Büro versucht, nur für alle Fälle. Keiner da.«
Klar. Mit meiner Rückkehr waren die pensionierten Jungs aus der Kaserne ausgeflogen. Lonnie und ich stürmten im Wechsel über das Feld der Tage, spielten uns den Ball gegenseitig zu.
»Es geht um Miss June. Hat angerufen und sagt, es gibt Ärger bei ihr im Haus.«
»Ich dachte, die lebt bei ihren Eltern.«
»Nee. Ist in ein kleines Haus draußen an der Oriole gezogen. Hat mal Steve und Dolly Warwick gehört, als die noch lebten. Heute wird’s von ihrem Sohn vermietet.«
»Über was für einen Ärger reden wir denn hier, Mabel?«
»So, wie sich’s anhört, Einbruch, würde ich sagen.«
»Warum hat June nicht ihren Vater angerufen? Er ist immer noch der Sheriff.«
»Kann ich nicht sagen. Sie hatten Probleme in der Vergangenheit - das weiß doch jeder. Jedenfalls hat sie ausdrücklich nach Ihnen verlangt.«
Ich notierte mir die Adresse, soweit vorhanden, entschuldigte mich bei Val und J.T., Miss Emily und ihrer Nachkommenschaft. Zuletzt erinnerte ich J.T., falls ein
fremder Mann vor der Tür auftauchen sollte, der
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