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Twig im Dunkelwald

Twig im Dunkelwald

Titel: Twig im Dunkelwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Stewart
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sagte die Frau und knöpfte die Knebel an der Vorderseite zu. »Unsere Spezialität«, fügte sie hinzu, »unverkäuflich.« Sie räusperte sich. »Twig«, sagte sie dann. »Ich möchte sie dir schenken als Zeichen meiner Dankbarkeit dafür, dass du Knorpel gesund und wohlbehalten zu uns zurückgebracht hast.«
    Twig war überwältigt. »Danke«, sagte er. »Ich …«

    »Fahr mit der Hand drüber«, sagte Knorpel.
    »Was?«, fragte Twig.
    »Fahr mit der Hand drüber«, wiederholte Knorpel und kicherte aufgeregt.
    Twig strich mit der Hand über das Fell. Es war weich und dick. »Herrlich«, sagte er.

    »Und jetzt andersrum«, sagte Knorpel ungeduldig.
    Twig tat, wie ihm geheißen. Diesmal stellten die Haare sich auf und wurden knochenhart.
    »AUA!«, schrie er und Knorpel und Vene lachten laut los. Sogar Mama-Tatum musste lächeln. »Das fühlt sich ja an wie lauter Nadeln«, sagte Twig und lutschte an seiner Hand.
    »Ob tot oder lebendig, kämme ein Hammelhorn nie gegen den Strich«, gluckste Mama-Tatum. »Ich freue mich, dass dir mein Geschenk gefällt. Möge es dir gute Dienste leisten.«
    »Sie sind wirklich sehr nett …«, begann Twig. Aber Mama-Tatum war immer noch nicht fertig.
    »Und das hier wird dich vor den unsichtbaren Gefahren beschützen«, sagte sie und hängte ihm ein aus Leder gefertigtes Amulett um den Hals.
    Twig grinste. Offenbar waren Mütter überall auf der Welt abergläubisch.
    »Spotte nicht«, sagte Mama-Tatum bestimmt. »Ich lese in deinen Augen, dass du noch einen weiten Weg vor dir hast. Die Welt ist voller Gefahren. Zwar gibt es für jedes Gift ein Gegengift«, sie sah lächelnd auf Knorpel, »aber wenn du dem Schleimschmeichler in die Hände fällst, hilft dir überhaupt nichts mehr.«
    »Dem Schleimschmeichler?«, sagte Twig. »Ich weiß schon.«
    »Er ist die Inkarnation des Bösen«, sagte Mama-Tatum leise. Ihre Stimme klang heiser. »Im Dunkeln lauert er uns Schlächtern auf, wählt ein Opfer aus und überlegt, wie er es töten kann. Dann schlägt er zu.«
    Twig kaute unruhig auf einem Zipfel seines Halstuchs. Mama-Tatum meinte denselben Schleimschmeichler, vor dem auch die Waldtrolle solche Angst hatten – dasselbe schreckliche Ungeheuer, das Waldtrolle, die vom Weg abkamen, in den sicheren Tod lockte. Aber das waren doch nur Geschichten, oder? Trotzdem fröstelte er, als Mama-Tatum weitersprach.
    »Der Schleimschmeichler verspeist sein Opfer lebendig, während das Herz noch schlägt«, flüsterte sie fast lautlos. »SCHLUSS DAMIT!«, sagte sie dann laut und klatschte in die Hände.
    Twig, Vene und Knorpel fuhren zusammen.
    »Mama!«, rief Vene empört. »Musst du uns so erschrecken!«
    »Ach, ihr junges Gemüse!«, sagte Mama-Tatum streng. »Immer nur maulen und spotten.«
    »Ich wollte nicht …«, setzte Twig an, aber Mama-Tatum brachte ihn mit einer Bewegung ihrer blutroten Hand zum Schweigen.
    »Im Dunkelwald musst du immer auf der Hut sein«, sagte sie warnend. »Sonst überlebst du keine fünf Minuten.« Sie streckte die Arme aus und drückte seine Hand. »Aber jetzt geh und ruh dich aus.«
    Twig ließ sich das nicht zweimal sagen. Er folgte Knorpel und Vene aus der Hütte und ging mit ihnen über den Dorfplatz zu den gemeinschaftlichen Hängematten. Sie waren übereinander an den Stämmen dreier im Dreieck stehender abgestorbener Bäume befestigt und schaukelten sacht hin und her. Twig war inzwischen so müde, dass er kaum noch die Augen offen halten konnte. Er stieg hinter Knorpel eine Leiter hinauf, die an einem der Bäume festgebunden war.
    »Die gehört uns«, sagte der Schlächterjunge, als sie an der obersten Hängematte angekommen waren. »Und dort drüben ist deine Decke.«
    Twig nickte. »Danke«, sagte er. Die gesteppte Decke, die Mama-Tatum für ihn bereitgelegt hatte, lag am anderen Ende. Er kroch auf wackligen Händen und Knien hinüber und wickelte sich in die Decke. Im nächsten Augenblick schlief er schon tief und fest.
    Weder die aufgehende Sonne weckte ihn noch das Knirschen, mit dem die große steinerne Platte über den Boden gezogen wurde, bis das Feuer direkt unter den Hängematten brannte. Später war es dann auch Zeit für Knorpel, Vene und die anderen Mitglieder der Familie Tatum, zu Bett zu gehen, doch Twig hörte nicht, wie sie in die große Hängematte stiegen und sich um ihn herum hinlegten.
    Twig träumte ganz in Rot. Er tanzte mit roten Leuten in einem riesigen roten Saal. Das Essen war rot, die Getränke waren rot – sogar die Sonne, die

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