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Twig im Dunkelwald

Twig im Dunkelwald

Titel: Twig im Dunkelwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Stewart
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sie angewiesen sein«, murmelte er.
    Er ging weiter. Um ihn herum wuchsen Bäume, die er nicht kannte. Einige hatten Dornen, andere Saugnäpfe, wieder andere Augen. Und alle sahen sie gefährlich aus. Manchmal wuchsen sie so dicht nebeneinander, dass er sich zwischen ihren knorrigen Stämmen hindurchzwängen musste.
    Wenn er wenigstens nicht so groß gewesen wäre. Anders als die kleinen Waldtrolle und Schlächter oder der starke Banderbär war er für das Leben im Dunkelwald nicht geschaffen.
    Die Bäume lichteten sich unvermutet und Twig bekam noch mehr Angst. Der versprochene Weg war nirgends zu sehen. So schnell er konnte, lief er über die sonnenüberflutete Lichtung wieder in den Wald hinein. Er sah sich um, ob etwa ein gefährliches Ungeheuer hinter ihm her war. Doch außer einem kleinen Tier mit einem dicken Fell und schuppigen Ohren, das ihn anspuckte, als er an ihm vorbeirannte, schien sich kein Bewohner des Dunkelwalds für den schlaksigen Jungen zu interessieren.
    »Ich laufe einfach weiter, dann komme ich bestimmt auf den Weg«, machte er sich Mut. »Ganz bestimmt!« Er erschrak. Seine Stimme klang so unsicher und verloren. Hinter ihm gellte ein schriller Schrei durch die Bäume. Ein zweiter Schrei links von ihm antwortete, dann ein dritter rechts von ihm.
    Was das wohl ist, überlegte Twig. Es klingt nicht gut. Er ging weiter geradeaus, wurde schneller. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er biss sich auf die Unterlippe und begann zu rennen. »Geht doch weg«, flüsterte er. »Lasst mich in Ruhe.«
    Wie als Antwort darauf wurden die Schreie lauter und kamen näher. Den Kopf gesenkt und die Arme erhoben, rannte Twig los und brach krachend durch das Unterholz. Schlingpflanzen rissen an ihm, Dornen zerkratzten ihm Gesicht und Hände, Äste stellten sich ihm entgegen, als wollten sie ihn zum Stolpern bringen oder bewusstlos schlagen. Der Wald wurde immer undurchdringlicher, das Laubdach über ihm immer dichter und dunkler.
    Auf einmal sah er ein türkisfarbenes Licht vor sich, funkelnd wie ein Edelstein. Er überlegte, ob die ungewöhnliche Farbe eine Gefahr bedeutete, doch schon umfingen ihn die schmeichelnden Klänge einer hypnotischen Musik. Er ging auf das Licht zu. Der mit Laub bedeckte Waldboden begann zu leuchten und Twig sah auf seine Füße. Sie glänzten türkisgrün. Die Musik – ein Klingen und Tönen von Stimmen und Streichinstrumenten – schwoll an. Er blieb stehen. Was sollte er tun? Weitergehen konnte er vor lauter Angst nicht, zurück allerdings auch nicht. Er musste weiter.
    Nervös kaute Twig auf einem Zipfel seines Halstuchs herum, dann machte er einen Schritt nach vorn, dann noch einen und noch einen … Das türkisfarbene Licht hüllte ihn ein und blendete ihn so sehr, dass er die Hände schützend vor die Augen halten musste. Laut und traurig klang die Musik ihm in den Ohren. Er ließ die Hände sinken und sah sich um.
    Er stand auf einer Lichtung. Das türkisfarbene Licht war hell, aber zugleich seltsam verschwommen. Nichts konnte er klar erkennen, Schemen schwebten vor seinen Augen vorbei, überlagerten sich und verschwanden. Die Musik wurde immer lauter. Plötzlich trat eine Gestalt aus dem Nebel und blieb vor ihm stehen.
    Es war eine Frau, klein und untersetzt. Ihre Haare waren mit Perlen zu Büscheln zusammengebunden. Das Gesicht konnte Twig nicht sehen.
    »Wer bist du?«, fragte er, doch da wusste er schon die Antwort auf seine Frage. Die Musik schwoll in einem letzten, aufwühlenden Crescendo an. Die kurzen, rundlichen Beine, die breiten Schultern und die knubbelige Nase, wenn sie den Kopf zur Seite drehte. Nur die Kleider, die sie trug, kannte er nicht, ansonsten bestand kein Zweifel.
    »Mütterlein«, sagte er leise.
    Doch Spelda wandte sich ab und zog sich in den türkisfarbenen Nebel zurück. Der seltsame blaue Pelzmantel, den sie trug, schleifte hinter ihr über den Boden.
    »GEH NICHT WEG!«, rief Twig. »MUTTER! SPELDA!«
    Die Musik wurde immer wilder, die Stimmen sangen schrill durcheinander.
    »KOMM ZURÜCK!«, schrie Twig und rannte der Gestalt nach. »LASS MICH NICHT ALLEIN!«
    Er rannte und rannte durch den gleißenden Nebel, stieß gegen Äste oder Baumstümpfe, die er nicht gesehen hatte, stolperte und stürzte zu Boden. Doch sofort rappelte er sich wieder auf, schüttelte den Dreck ab und rannte weiter. Spelda hatte ihn gesucht, so viel war klar. Sie hat gewusst, dass ich in Not bin, dachte er, dass ich mich verirrt habe. Sie ist gekommen um mich nach

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