Twig im Dunkelwald
Grobmutter, deren einzige Sorge war ihre Jungs pünktlich mit Honig zu füttern, bemerkte davon nichts.
Twig blieb in seinem Versteck, während sie sich damit abmühte, den großen zweiten Topf in den Schlauch zu entleeren. Sie grunzte und stöhnte und dann hörte er, wie etwas mit einem Klicken einrastete. Er spähte hinter seinem Topf hervor.
Grobmutter betätigte einen Schwengel, durch den der lange, inzwischen mit heißem Honig gefüllte Schlauch langsam durch den Boden und zum darunter liegenden Saal abgesenkt wurde. Dann zog sie an einem Hebel und Twig hörte wieder ein Klicken. Gurgelnd strömte der Honig in den Trog. Von dem Saal unter ihnen stieg frenetisches Freudengeheul auf.
»Na also«, flüsterte Grobmutter und ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf ihrem wulstigen Gesicht aus. »Jetzt esst mal schön, Jungs. Guten Appetit.«
Twig kratzte den klebrigen Honig von seiner Weste und leckte sich die Finger ab.
»Pfui Spinne!«, sagte er und spuckte aus. Der gekochte Honig schmeckte abscheulich. Mit dem Handrücken wischte er sich den Mund ab. Jetzt musste er aber schleunigst verschwinden. Wenn er wartete, bis Grobmutter abspülte, erwischte sie ihn ganz bestimmt. Und er wollte auf keinen Fall noch einmal in das Abfallrohr gekippt werden. Aber wo war der Wabbelkoloss überhaupt?
Twig drückte sich durch die beiden leeren Töpfe und sah sich um. Grobmutter war nirgends zu sehen.
Der tumultartige Lärm im Saal unter ihnen hielt indessen unvermindert an. Er schien sogar lauter geworden zu sein und klang – soweit Twig es beurteilen konnte – noch erregter.
Auch Grobmutter musste bemerkt haben, dass etwas nicht stimmte. »Was fehlt euch denn nur, meine Schätzchen?«, hörte Twig sie fragen. Erschrocken fuhr er herum und starrte angestrengt in den dunklen Teil der Küche. Und dort saß sie in der hintersten Ecke, den monströsen Leib in einen Sessel gequetscht und den Kopf zurückgelehnt. Sie tupfte sich die Stirn mit einem Tuch ab. Sie schien besorgt. »Was fehlt euch denn?«, fragte sie noch einmal.
Twig war es egal, was den Kobolden fehlte. Dies war seine Chance zu entkommen. Wenn er die Geschirrtücher miteinander verknotete, konnte er sich zum Boden hinunterhangeln. Er zog sich zwischen die Töpfe zurück, allerdings zu schnell. In seiner Hast stieß er hart gegen einen Topf und musste entsetzt zusehen, wie der Topf langsam über den Rand des Herdes rutschte. Einen Moment lang hing er in der Luft, dann krachte er mit Ohren betäubendem Lärm auf den Boden.
»Ach herrjemine!«, rief Grobmutter erschrocken und sprang erstaunlich schnell auf die Beine. Sie sah zuerst den heruntergefallenen Topf, dann Twig. »Ahaaaaa!«, kreischte sie und aus ihren Knopfaugen schossen Blitze. »Schon wieder Ungeziefer! An meinen Kochtöpfen!«
Sie schnappte sich den Mopp und marschierte damit zum Herd. Zitternd sah Twig ihr entgegen. Sie schwang den Fransenbesen hoch über ihren Kopf und … erstarrte. Die Wut auf ihrem Gesicht wich blankem Entsetzen.
»Du … warst doch nicht etwa im Honig, wie?«, stammelte sie. »Sag, dass du nicht drin warst, dass du ihn nicht verschmutzt und verdorben hast … du kleines Luder, du widerliches Scheusal. Wenn der Honig sauer ist, kann alles passieren. Alles. Da sind meine Jungs nicht zu bremsen, jawohl. Du hast ja keine Ahnung …«
In diesem Augenblick sprang die Tür hinter ihr auf und ein wütender Schrei ertönte: »DA IST SIE!«
Grobmutter fuhr herum. »Jungs«, sagte sie zuckersüß. »Die Küche ist tabu, das wisst ihr doch.«
»Auf sie!«, riefen die Kobolde. »Sie wollte uns vergiften.«
»Nein, stimmt doch überhaupt nicht«, wimmerte Grobmutter und wich vor der Meute zurück, die auf sie zukam. Sie drehte sich um, hob einen wabbeligen Arm und zeigte mit einem dicken Finger auf Twig. » Der ist schuld!«, quäkte sie. »Er ist in den Honigtopf gefallen.«
Doch die Kobolde wollten davon nichts wissen. »Nieder mit ihr!«, schrien sie und stürzten sich auf sie. Unter wildem Gebrüll brachten sie sie zu Fall und rollten sie über den klebrigen Küchenboden zum Abfallrohr.
»Der Honig ist diesmal … au … nichts geworden«, protestierte sie. »Ich … HILFE … mein Magen … Ich mache euch neuen.«
Die Kobolde scherten sich nicht um ihre Entschuldigungen und Versprechungen. Erbarmungslos drückten sie Grobmutters Kopf in das Rohr. Ihre verzweifelten Schreie waren nur noch gedämpft zu hören. Die Kobolde sprangen auf ihr herum und versuchten sie durch Auf-
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