Twig im Dunkelwald
und Abhüpfen durch die enge Öffnung zu zwängen. Sie schoben und drückten und bearbeiteten sie mit den Fäusten, bis plötzlich mit einem schmatzenden Geräusch das ganze schwabbelnde Fettgebirge hinunterrutschte.
Twig war inzwischen vom Herd heruntergeklettert und rannte zur Tür. Gerade als er dort ankam, hörte er durch das Loch einen gewaltigen Plumps. Grobmutter war auf dem Komposthaufen in der großen Höhle unter der Küche gelandet.
Die Kobolde johlten vor Schadenfreude. Sie hatten die Giftmischerin bestraft. Doch ihr Rachedurst war noch nicht gestillt, deshalb ließen sie ihre Wut an der Küche selbst aus. Sie zertrümmerten das Spülbecken, demolierten den Herd, rissen den Schwengel von der Wand und zerfetzten den Schlauch. Dann warfen sie wahllos Töpfe und Rührlöffel in das Abfallrohr und schüttelten sich jedes Mal vor Lachen, wenn aus der unterirdischen Höhle der Schrei »Aua, mein Kopf!« durch das Rohr hallte.
Und sie waren immer noch nicht fertig! Mit wütendem Gebrüll stürzten sie sich auf den Brunnen, schlugen auf ihn ein, traten gegen den Brunnenrand und zerbrachen ihn in tausend kleine Stücke, bis nur noch ein Loch im Boden übrig war.
»Jetzt die Schränke!«, kreischten sie. »Und die Regale! Ihren Sessel!« Sie kippten und stürzten alles, dessen sie habhaft werden konnten, in das Brunnenloch. Zuletzt war in der Küche nur noch Twig übrig. Ein markerschütterndes Geheul ertönte wie der Schrei eines stark verwundeten Tieres. »Schnappt ihn!«, kreischten die Kobolde. Twig machte kehrt und nahm die Tür in den dahinter liegenden dämmrigen Tunnel. Die Kobolde stürzten ihm nach.
Twig rannte nach links und nach rechts, hierhin und dorthin, immer weiter durch das endlose Labyrinth der wabenartig durchlöcherten Kolonie.
Das Geheul der Kobolde hinter ihm wurde leiser und leiser und verstummte schließlich ganz.
»Ich habe sie abgeschüttelt«, sagte Twig mit einem erleichterten Seufzer. Dann sah er sich in dem Tunnel um, der sich vor und hinter ihm erstreckte, und schluckte. »Jetzt habe ich mich auch noch verirrt«, murmelte er niedergeschlagen.
Wenig später kam er an eine Kreuzung. Er blieb stehen. Sein Magen knurrte. Zwölf Tunnel gingen wie Speichen eines Rades in alle Richtungen ab.
»Welchen soll ich denn nehmen?«, stöhnte er. Alles ging schief, aber auch alles! Zuerst hatte er den Weg verloren und jetzt auch noch einen ganzen Wald ! »Und du wolltest ein Himmelsschiff fahren!«, sagte er bitter zu sich. »Das kommt jetzt wohl nicht mehr infrage! Ein dummer, zu groß geratener Waldtroll bist du.« Er hörte die Stimmen von Spelda und Tuntum, wie sie ihn ausschimpften. »Er wollte ja nicht hören. Der lernt das nie.«
Er schloss die Augen und tat, was er immer tat, wenn er nicht mehr weiterwusste. Er streckte einen Arm aus und begann sich im Kreis zu drehen.
»Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sie-ben – Ich hab mich für dich ent-schie-den!«
Er hielt an, machte die Augen auf und starrte in den Tunnel, den der Zufall für ihn ausgewählt hatte.
»Der Zufall ist nur etwas für Dumme und Schwache«, ertönte eine Stimme. Twig bekam eine Gänsehaut.
Er fuhr herum. Im Schatten hinter ihm stand ein Kobold. Seine Augen glimmten wie Feuer. Was führte der schon wieder im Schilde?
»Wenn Ihr die Kolonie wirklich verlassen wollt, Master Twig«, fuhr der Kobold etwas freundlicher fort, »dann folgt mir.« Mit diesen Worten machte er kehrt und ging.
Twig schluckte aufgeregt. Natürlich wollte er nach draußen, aber war das vielleicht nur eine List? Wollte der Kobold ihn in einen Hinterhalt locken? Es war heiß im Tunnel, so furchtbar heiß, dass ihm ganz schwindlig und schlecht wurde. Von der niedrigen wächsernen Decke fielen klebrige Tropfen auf seinen Kopf und liefen an seinem Hals hinunter. Sein Magen knurrte immer lauter.
»Ich habe keine andere Wahl«, flüsterte er.
Der Mantel des Kobolds verschwand flatternd um eine Ecke und war nicht mehr zu sehen. Twig folgte ihm.
Sie eilten hintereinander durch lange Tunnel, stiegen Treppen hinauf und hinunter und durchquerten große, leere Säle. Überall roch es aufdringlich nach Moder und Fäulnis, sodass man kaum noch Luft bekam. Twig sauste der Kopf. Seine Haut war feuchtkalt, seine Zunge trocken.
»Wohin gehen wir eigentlich?«, rief er ängstlich. »Du hast dich wahrscheinlich genauso verirrt wie ich.«
»Vertraut mir, Master Twig«, erwiderte der Kobold unterwürfig und im selben Moment spürte Twig einen
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