Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
Wir hielten die Luft an, legten uns die Hand vor den Mund, bis wir uns wieder unter Kontrolle hatten. »Es ist dunkel, Ryan. Ich kann dein Gesicht kaum sehen. Aber ich weiß, dass du es bist.«
Er lächelte. So viel konnte ich selbst in der Schwärze der Nacht erkennen. Seine Hände ruhten noch immer auf meinen Schultern, sein Gesicht war nur gut dreißig Zentimeter von meinem entfernt.
»Und du weißt, dass ich es bin«, sagte ich. Er nickte. »Woher weißt du, dass ich es bin?« Ich schluckte, plötzlich schüchtern geworden, mir plötzlich der Tatsache bewusst, wie nah wir uns waren, dass ich praktisch auf seinem Schoß saß, dass ich noch nie in meinem Leben jemandem so nahe gewesen war. Ein dunkles, unbehagliches Gefühl schlich sich in mein Inneres. Ich versteifte mich und wandte den Blick ab. Doch das Unbehagen war nicht meins. Es gehörte nicht zu mir, und ich bemühte mich, es wegzuschieben.
»Eva?«, sagte Ryan. Seine Hand glitt an meinem Arm nach unten, seine Finger legten sich um mein Handgelenk. »Eva?«, sagte er noch einmal sanfter. Er beugte sich zu mir, versuchte meinen Blick einzufangen. Ich vergaß alles andere.
Ein Augenblick verstrich, der wie ein Riss in der Zeit war. Unerklärlich. Und dann war sein Mund auf meinem, seine Lippen weich und nachdrücklich. Es dauerte eine Sekunde. Einen Herzschlag. Er löste sich ohne ein Wort. Ich packte seinen Arm. Dieses Mal küsste ich ihn, und mir wurde so schwindelig, dass ich hingefallen wäre, hätten wir nicht schon auf dem Boden gesessen.
Aber etwas verknotete sich in mir. Etwas zuckte zusammen, scharf und spröde. Etwas schrie auf, und ehe mir klar war, was ich tat, fuhr ich nach Luft schnappend zurück … ‹Addie. Addie, Addie …›
Sie sagte nichts, aber ich hörte sie weinen und begann zu zittern. Ich zog mich zurück, und Ryan versuchte nicht, mich aufzuhalten. Er sah mich nur an, beobachtete mich nur, und ich glaube, er verstand. Er sprang nicht auf, aber er berührte meine Hand genau in dem Moment, als ich mich abwandte, und einen weiteren Augenblick lang gab es nur mich und nur ihn und niemanden sonst auf der Welt.
Aber dieser Augenblick dauerte nur eine Sekunde. Denn ich war nie allein und er ebenso wenig. Ich floh ins Badezimmer. Ich spürte bereits, wie mir die Kontrolle entglitt, während Addies Gefühle sich mehr und mehr verdichteten. Als wir endlich die Tür hinter uns schlossen, weinten wir.
‹Es tut mir leid›, sagte Addie. ‹Es tut mir leid. Es tut mir leid. Ich habe versucht …›
‹Ist schon gut›, sagte ich, denn was hätte ich sonst sagen sollen? Sie war Addie. Sie war meine andere Hälfte. Sie war wichtiger als jeder sonst.
‹Ich hätte nur nie gedacht …› Sie vergrub unser Gesicht in den Händen, versuchte, ihre Tränen zurückzudrängen. ‹Ich hätte nie gedacht …›
Nie gedacht, sie würde zugucken müssen, fühlen, wie wir jemanden küssten, den sie nicht küssen wollte. Das war mein ganz persönlicher Horror gewesen. Meine Bürde.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Als wir schießlich in den Flur zurückkehrten, war Ryan verschwunden.
Die Tage verstrichen tröpfelnd. Erst einer. Dann zwei. Dann eine Woche. Peter war nicht viel zu Hause, aber wenn er es war, brachte er Freunde mit – die junge Frau mit den Cappuccinohaaren, die ältere mit der Hornbrille, einen Mann, dessen Haut die Farbe von Muskat hatte, ein Mädchen mit der Haltung einer Ballerina. Jackson, der nie ohne ein Lächeln für Addie und mich vorbeikam. Sie versammelten sich um den Esstisch, wo sie sich stundenlang mit gedämpften Stimmen unterhielten. Einmal, auf dem Weg in die Küche, hörten wir den Mann fragen, wie es uns ginge.
»Sie erholen sich langsam«, erwiderte Peter.
Erholen?
Ich nehme an, so war es.
Ryan und ich gingen uns nicht im eigentlichen Sinne aus dem Weg. Wir waren nur nie da. Ich sagte Addie, ich sei zu müde, um die Kontrolle zu übernehmen, und wann immer wir den Jungen mit den dunklen Locken und den noch dunkleren Augen ansahen, mit ihm sprachen oder auch nur an ihm vorbeikamen, wusste ich, er war Devon, nicht Ryan. Er und Addie redeten nicht viel miteinander. Falls es Hally oder Lissa auffiel, so kommentierten sie es nicht. Sie waren stiller als je zuvor, verbrachten viel Zeit allein oder mit Jaime. Aber als die Tage vergingen, kehrte ihr Lächeln zurück. Erst ab und an. Dann immer häufiger.
Der Kühlschrank war stets gefüllt, mit Milch, Eiern, Äpfeln. Wir fanden Erdnussbutter und Brot in der
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