Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
Speisekammer und eine Weile ernährten wir uns von Butterbroten. Niemand beschwerte sich darüber. Jaimes Zittern verschwand nie völlig, aber er lächelte und half uns, das Mittagessen zu machen, und er lachte, wenn wir ihn dabei erwischten, wie er die Ernussbutter von den Schmiermessern ableckte. Manchmal beobachteten wir ihn dabei, wie er vor sich hin murmelte, seine Satzfragmente hin und her schob, als hoffe er, aus ihnen die Zwillingsseele zusammensetzen zu können, die er verloren hatte. Aber zu anderen Zeiten war er fröhlich und zufrieden, und ich konnte nachvollziehen, wieso er Dr. Lyannes Herz erobert hatte wie kein anderer Patient der Nornand Klinik.
Dann kam der Tag, an dem es an der Tür läutete und es nicht die junge Frau mit den Cappuccinolocken oder der Mann mit der dunklen Haut war. Es war eine erschöpfte Frau, deren hellbraune Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengefasst waren. Sie hielt einen einzelnen Koffer in der Hand und trug unbequem aussehende Schuhe.
Sie und Peter sahen sich einen Moment an, ihre Gesichter waren sich zugleich so ähnlich und doch so verschieden. Dann wanderte ihr Blick zu uns und Hally, die wir am Esstisch saßen und frühstückten. Die anderen waren noch nicht aufgestanden.
Dr. Lyanne umklammerte ihren Koffer und betrat die Wohnung, kurz hinter der Türschwelle blieb sie stehen. Als ihre Unterlippe zu zittern begann, unterdrückte sie es rasch. Sie sagte nichts, als wolle sie uns herausfordern, es zu wagen, sie zu verurteilen. Ihr zu sagen, dass sie keinen Schritt weiter machen dürfe, dass sie wieder gehen müsse. Aber Peter trat nur zur Seite, um sie hereinzulassen, ein Lächeln streifte seine Lippen.
Wir saßen auf der Feuertreppe. Während der vergangenen zwölf Tage hatten wir begonnen, mehr und mehr Zeit dort zu verbringen. Es war der einzige Weg, echtes, direktes Sonnenlicht zu ergattern, ohne die Wohnung zu verlassen; was wir noch nicht durften. Natürlich würde jetzt jeden Moment die Sonne untergehen, sodass wir keine schöne Bräune bekommen würden, aber die Luft war immer noch warm.
Wir hatten eine Menge Zeit auf der Feuertreppe verbracht, als wir noch in der Stadt gelebt hatten. Dort war die Luft frischer gewesen, die Straßen geschäftiger, aber die Feuertreppe hatte uns das gleiche Gefühl von Ruhe und Frieden vermittelt wie in diesem Moment. Wir hatten Lyle verboten, uns dorthin zu folgen, hatten sie zu unserem Ort erklärt, und wann immer er sich lauthals darüber beschwert hatte, war Dad jedes Mal auf unserer Seite gewesen. Vielleicht verstand er unser Bedürfnis nach Raum für uns, oder er wollte Lyle von uns fernhalten oder war nur der Meinung gewesen, die Feuerleiter sei zu gefährlich für einen kleinen Jungen – ich würde es nie erfahren. Aber in diesem Augenblick hätte ich alles darum gegeben, unseren kleinen Bruder bei uns zu haben, zu erleben, wie er mit der ihm üblichen Hibbeligkeit den wenigen Platz einnahm und uns zurief, dieses oder jenes anzusehen.
Ich hätte alles um das Wissen gegeben, dass Mom direkt auf der anderen Seite des Fensters war, von wo aus sie von Zeit zu Zeit nach uns sah, um sicherzugehen, dass wir es nicht geschafft hatten, uns irgendwie wehzutun. Ich hätte alles um das Wissen gegeben, dass ich Dad an diesem Abend sehen würde, dass unsere Familie uns zurücknehmen würde und wir alle weglaufen und irgendwo in Sicherheit sein würden. Aber selbst dann wäre da noch Ryan. Da wären Ryan und seine Familie, und da wären all die anderen hybriden Kinder in all den anderen Krankenhäusern, all den Institutionen, an die es zu denken galt.
Das Fenster neben uns glitt auf und quietschte so wie jedes Mal, die Angeln nach Öl wimmernd.
»Die anderen möchten, dass du essen kommst«, sagte Dr. Lyanne, und ich nickte.
Sie blieb am Fenster stehen und betrachtete den roten Himmel so wie wir. Ehe mir in den Sinn kommen konnte, was ich da tat, sagte ich: »Sind Sie noch nicht hier draußen gewesen?«
Sie zögerte, dann wagte sie sich vorsichtig hinaus auf die Feuertreppe. Ihre Absätze ließen sie taumeln und ich verbarg ein Lächeln vor ihr.
»Es ist schön«, sagte ich und wandte mich wieder der geschäftigen Straße weit unter uns zu, den Autos, die Abgaswolken ausstoßend vorbeischossen, den Leuten, die hierhin und dorthin liefen. Addie bevorzugte Porträts, aber vielleicht würde sie mir eines Tages den Gefallen tun und die Szene unter uns malen. Es gab keinen Grund mehr, diesen Teil von ihr zu
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