Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
gekommen war, begann auch er Bedenken an Evs Eignung für die Aufgabe zu äußern. Nur sagte er das nicht Ev, sondern sprach über seine vertraulichen Sitzungen mit Fenton, der wiederum Jack darüberunterrichtete. Wie ein Schneeball, der bergab rollend jedes bisschen Dreck auf dem Weg mit sich reißt und bei jedem Überschlag dunkler und größer wird (mit jeder Sitzung, mit jedem Anruf beim Verwaltungsrat), gewannen die Klagen gegen Ev eine immer mächtigere Wucht.
Zittern vor den Russen
Die Scharfschützen kamen, ganz in Schwarz gekleidet, am frühen Morgen und stiegen aufs Dach. Dort, auf grauen Betonplatten, packten sie ihre langläufigen Gewehre aus und stellten ihre Zielfernrohre ein. Im Rauschen der Funkgeräte wechselten maskierte Männer knappe Anweisungen auf Russisch.
Zwei Wochen lang waren immer wieder zu allen Tageszeiten Schwarzgekleidete bei Twitter aufgetaucht. Sie umschwärmten die Arbeitsnischen wie Wespen auf der Suche nach Obstkuchen, suchten jeden Winkel und jede Ritze des Gebäudes ab. Ihre glänzenden Sonnenbrillen verbargen ihre Augen, unter ihren dunklen Anzugjacken steckten Pistolen. Einige führten grimmig aussehende Hunde mit sich, die das Gebäude nach Sprengstoff abschnüffelten.
Die Männer zogen leise Vorhänge beiseite und lugten aus den Fenstern auf die belebten Straßen San Franciscos hinab.
»Wir brauchen einen Plan aller Ausgänge und Fahrstühle«, sagte einer mit starkem russischen Akzent zu einem Twitter-Angestellten. Die Fahrstühle würden für den Besuch geschlossen. »Wir werden die Metalldetektoren vor den Büros aufstellen.«
Als neuer Verantwortlicher für das operative Geschäft hatte Dick unablässig neue Mitarbeiter eingestellt. Ende 2009 war Twitters Belegschaft einschließlich der freien Mitarbeiter von 30 auf beinahe 120 angeschwollen. Deshalb bezog die Firma im November eine neue Zentrale in der Folsom Street 795, wo sie den sechsten Stock eines großen beigefarbenen Gebäudes belegte, zuvor der Sitz mehrerer anderer Start-ups. Bis Juni 2010 arbeiteten beinahe 200 Beschäftigte in den Büros.
Auf einer von der Firma organisierten Konferenz namens Chirp hatte Ev kurz zuvor bekanntgegeben, dass Twitter mittlerweile über 100 Millionen registrierte Nutzer hatte und jeden Tag 300
000 neue hinzugewann. Ryan Sarver, bei Twitter zuständig für Applikationen externer Anbieter, berichtete dem Publikum, dass auf Twitter 100
000 Apps liefen, die mit der Webseite drei Milliarden Mal am Tag interagierten. Diese beeindruckenden Zahlen machten langsam auch Google nervös: Mittlerweile verzeichnete Twitter 600
000 Suchanfragen pro Tag.
Evs Frau Sara war mit der Gestaltung der neuen Büroräume beauftragt worden. Zum funky Look, den sie der neuen Zentrale gab, gehörten eine rote Lampe in Form eines @-Zeichens, das über einer modernen blauen Couch hing, zahlreiche Vogelaufkleber und hippe Gestaltungsakzente wie zum Beispiel drei hölzerne Hirschköpfe. In der Kantine des Unternehmens gab es sogar eine DJ-Kabine.
Immer mehr Politiker besuchten Twitter. John McCain war an einem Wochenende gekommen, ließ sich durch die Büros führen und sprach mit Managern, um sich zu informieren, wie Twitter von Behörden und staatlichen Institutionen genutzt wurde – und wie er es nutzen konnte, um die nächste Wahl nicht zu verlieren. Auch Gavin Newsom, der Bürgermeister von San Francisco, schaute regelmäßig vorbei, erörterte städtische Angelegenheiten oder traf sich mit Ev. Sogar Arnold Schwarzenegger war auf einen Plausch vorbeigekommen.
Aber der 23. Juni 2010 war anders. Der russische Präsident Dimitri Medwedew hatte sich im Twitter-Hauptquartier zu einer Führung angekündigt, um das »heißeste Start-up im Silicon Valley«, wie er sich ausdrückte, mit eigenen Augen zu sehen. Er hatte vor, bei dieser Gelegenheit seinen ersten Tweet zu senden.
Der Besuch warf ein grelles Schlaglicht darauf, wie sehr sich die Welt verändert hatte. Bei früheren Besuchen der USA hatten sich ausländische Staatsoberhäupter noch mit Zeitungsverlegern getroffen. Nun fielen die Staatsgäste, statt in New York ihre Runde bei Esquire , Time oder Newsweek zu machen, im Silicon Valley ein, um dort die Unternehmen zu besuchen, die die Art veränderten, wie die Welt kommunizierte.
Twitter war die erste Etappe eines dreitägigen Staatsbesuchs Medwedews zur Vertiefung der russisch-amerikanischen Beziehungen. Er plante im Silicon Valley einige Treffen, darunter mit Steve Jobs. (Medwedew
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