Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
Woche hätte reichen können.
»Wie nett, dass du dich so fein gemacht hast«, hatte Ev mit Biz am Morgen gescherzt, als er ins Büro kam. Biz trug zerzauste Turnschuhe, ausgebeulte, abgewetzte Jeans und eine Cargojacke mit Reißverschluss. Er sah aus, als wäre er gerade zum Lebensmittelladen gelaufen, um eine Tüte Milch zu holen, nicht um den Präsidenten von Russland und einen internationalen Pressetross zu empfangen.
Produktvorstand Goldman saß mit seinem Team von Programmierern auf der dritten Etage. Als eines der dienstältesten Firmenmitglieder hatte er sich bereiterklärt, jedes Problem auszuräumen, damit der russische Präsident seinen ersten Tweet versenden konnte.
Draußen auf der Straße blickte Präsident Medwedew, umringt von seinen Leibwächtern, am Gebäude hoch. Er passierte den Subway-Laden zu seiner Rechten, ging durch die offene Glastür und schritt über den Marmorfußboden durch die Eingangshalle zum Fahrstuhl. Er musste nicht auf einen Lift warten, denn für die nächsten Stunden war die einzige Person, die das Gebäude betreten oder verlassen oder von einem Stockwerk in ein anderes fahren konnte, er selbst.
Goldman stand da wie ein General an der Spitze der Pioniertruppe, die über die Webseite wachte. Während der Präsident durchdas Gebäude am dritten Stock vorbei nach oben fuhr, blickte ein Programmierer auf und sprach die vier gefürchteten Wörter: »Die Seite ist zusammengebrochen.«
»Was meinst du damit, die verfluchte Seite ist zusammengebrochen?«, fragte Goldman. Wie jemand, der gerade in ein Becken mit Eiswasser gefallen ist, wurde er ganz taub. Er malte sich schon das schlimmste Szenario aus.
In Besprechungen mit dem Weißen Haus, dem Außenministerium, dem Büro des Bürgermeisters von San Francisco, dem Büro von Gouverneur Schwarzenegger und der russischen Botschaft waren in den vorangegangenen Wochen alle Details des geplanten Besuchs bis ins Kleinste durchgespielt worden. Nachdem der russische Präsident seinen ersten Tweet verschickt hatte, so lautete der Plan, würde das Weiße Haus darauf antworten. Barack Obama würde Medwedew zu seinem Tweet gratulieren, ebenso wie der Bürgermeister und der kalifornische Gouverneur. Sie alle würden den russischen Präsidenten bei Twitter und in den Vereinigten Staaten willkommen heißen.
Aber dazu würde es ohne funktionierende Webseite nicht kommen. Schlimmer noch, Goldman saß im dritten Stock gefangen, bis der Präsident das Gebäude wieder verlassen hatte, er konnte also nicht schnell zu Ev und Biz laufen, um sie vorzuwarnen. Ohne zu wissen, was drei Stockwerke über ihm vor sich ging, versuchte Goldman, mit einer SMS zu ihnen durchzukommen. Er konnte nur hoffen, dass sie ihre Mobiltelefone eingeschaltet hatten.
Als Medwedew im sechsten Stock aus dem Fahrstuhl trat, schüttelte Bürgermeister Newsom ihm die Hand. Dann wurden ihm Ev, Biz und Dick vorgestellt.
Gerade als Biz dem Präsidenten die Hand gab, vibrierte das Handy in seiner Jackentasche. In seiner SMS erklärte Goldman die Situation und drängte Biz, alles Erdenkliche zu unternehmen, um den ersten Tweet hinauszuzögern.
Biz zeigte Ev die Nachricht, der mit einem gespielten Lächeln vom Display aufschaute.
»Sollen wir?«, fragte Bürgermeister Newsom und führte sie den Korridor hinunter. Biz folgte den anderen so langsam wie möglich. Ein Mitarbeiter der Public-Relations-Abteilung, der den Ausfall bemerkt hatte, tippte Dick auf die Schulter und wiederholte exakt die Worte aus Goldmans SMS: »Die Webseite ist zusammengebrochen.«
Dick fuhr der Schreck in die Knochen. »Wie, komplett außer Betrieb?!«, fragte er mit aufgerissenen Augen. Biz ging weiter im Schneckentempo und suchte nach einer Ausrede, um die Gruppe vom Twittern abzuhalten. »Hey, wir sollten ihm das Elektrofahrrad zeigen!«, raunte er Ev und Dick zu.
Die Twitter-Mitarbeiter standen Spalier, während die Gruppe an den Arbeitsbereichen vorbeischritt. Biz bewegte seine Füße mit der Geschwindigkeit eines 90-Jährigen und gab sein Bestes, um die unvermeidliche Ankunft in der Cafeteria, wo der erste Tweet des Präsidenten amerikanischen Boden verlassen sollte, hinauszuzögern.
Langsam, aber sicher näherten sie sich ihrem Ziel, vorbei an einigen Kunstwerken, die Ev und Sara für das Büro ausgesucht hatten. Ihr Blick fiel auf eins von Evs Lieblingswerken, schwarz gerahmt und ironisch auf den Kopf gehängt. Darauf stand zu lesen: »Let’s make better mistakes tomorrow« – lasst uns morgen
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