Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
seine Gewährsleute in der Firma wie Bauern auf dem Schachbrett gegen seinen Erzfeind in Stellung gebracht. Ev ahnte von diesem Machtspiel nicht das Geringste. Geheime Unterredungen in Jacks Apartment, im Blue Bottle Coffee, in der Zentrale von Square? Ev hatte keinen Schimmer davon.
Nach Jacks Ausscheiden anderthalb Jahre zuvor hatten Fred und Bijan in Ev den richtigen Nachfolger an der Spitze von Twitter gesehen. Und Ev hatte ihnen seine Eignung rasch unter Beweis gestellt. Doch nun, angesichts der nur schleppenden Ertragssteigerung und einem ganzen Katalog neuer Probleme aufgrund der rasanten Wachstumsschübe, die Twitter im Lauf des Jahres 2009 erlebt hatte, begannen sich die ersten Investoren zu fragen, ob er der Richtige war, um Twitter auf die nächste Entwicklungsstufe zu führen, was unter anderem bedeutete, das Unternehmen nachhaltig profitabel zu machen, um es schließlich, wenn alles nach Plan ging, an die Börse zu bringen. Ihre Besorgnis wuchs, als Jack ihnen indirekt einflüsterte, dass sie mit Ev am Ruder Hunderte Millionen von Dollar verlieren könnten.
Natürlich hatte Ev gar keine Chance, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Soweit er wusste, stand bei Twitter ja alles zum Besten. Er pilgerte zu seinen wöchentlichen Sitzungen mit Campbell und erhielt dort seine volltönende Aufmunterung. »Scheiße, Sie leisten verdammt gute Arbeit!«, pflegte Campbell zu bellen. Der Coach tauchte bei Verwaltungsratssitzungen auf, um Evs Präsentationen zur Situation der Firma zu lauschen. Nach jedem SermonEvs klatschte er laut, umarmte seinen Protegé, verkündete abermals allen Anwesenden lauthals, dass Ev eine »scheißgeile Arbeit« leiste, und forderte alle auf, ihm Beifall zu spenden (nichts davon war in Verwaltungsratssitzungen üblich). Dann, nachdem Ev den Raum verlassen hatte, stolz auf das Lob seines Mentors für seine großartige Arbeit, rief Campbell der Gruppe zu: »Sie müssen diesen Scheißkerl loswerden! Der hat keinen verdammten Schimmer!«
Aus Sicht einiger Führungskräfte bei Twitter, darunter Finanzvorstand Rowghani, wurde die Situation immer brenzliger, weil ein bedrohliches Problem, das die Firma in die Knie zwingen konnte, ungelöst blieb.
Seit einem Jahr war ein Unternehmen namens UberMedia dabei, externe Twitter-Applikationen zu entwickeln und aufzukaufen, darunter sehr namhafte wie Echofon und Twidroyd. Chef von UberMedia war der gerissene Geschäftsmann Bill Gross, der nun kurz davorstand, sich auch noch die wohl größte Twitter-App namens TweetDeck unter den Nagel zu reißen. Dabei führte Gross einen weit größeren Plan im Schilde als nur den Aufkauf von Client-Anwendungen externer Anbieter.
Tatsächlich hatte Gross vor, einen Twitter-Netzwerkklon aufzuziehen, mit dessen Hilfe sich die Nutzer von Twitter fort zu einem gänzlich neuen Dienst locken ließen, dessen Werbeeinnahmen Gross dann abschöpfen konnte. Er hatte auch schon eine geschäftliche Beziehung zu Asthon Kutcher aufgebaut und hoffte, ihn für das neue Unternehmen gewinnen zu können.
Als Dick und Rowghani von dem geplanten Aufkauf von TweetDeck erfuhren, wurde ihnen klar, dass Gross damit in den Besitz von 20 Prozent aller Twitter-Apps käme. Der Finanzvorstand und andere Topmanager von Twitter wollten TweetDeck selbst kaufen, bevor es UberMedia tun konnte. Doch Ev konnte sich zu keiner Entscheidung durchringen. Er fragte sich, ob TweetDeck den Preis von mehreren 10 Millionen Dollar überhaupt wert war. In einem Augenblick war er für den Kauf der App, im nächsten wieder dagegen und schob so mit seiner Unschlüssigkeit die Sache auf die lange Bank.
Die Gruppe in Jacks Loft einigte sich bei ihrer ersten geheimen Unterredung auf einen Pakt: Erstens kam sie überein, unter allen Umständen gegen Ev und Goldman zusammenzustehen; zweitens wollte sie dafür sorgen, dass Ev als Vorstandschef abgelöst würde; Dick sollte, drittens, als Interimschef eingesetzt werden, bis jemand Passendes für die Position gefunden wäre; schließlich wurde beschlossen, Jack wieder zurück in die Firma zu holen. Eigentlich schielte Jack selbst auf den Posten des Vorstandschefs, aber ihm war klar, dass seine Chancen dafür schlecht standen, solang er gleichzeitig Square führte. Er musste mit einer Rückkehr zu Twitter vorliebnehmen – zumindest fürs Erste.
Beim zweiten Geheimtreffen holte die Gruppe auch Dick ins Boot und weihte ihn in einen Teil ihres Plans ein. Man erklärte ihm, die Wahl sei auf ihn gefallen, weil die Mitarbeiter
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