Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
fragte mit einem unverhohlenen Seitenhieb gegen Ev, wieso eine Podcast-Firma wie Odeo Zeit auf Nebenprojekte verschwende.
Om Maliks Blog war wohlwollender und zeigte Interesse an dem neuen Twitter-Angebot, aber er schrieb das Verdienst ausschließlich einem gewissen betrunkenen Mitbegründer zu, mit dem er am Abend zuvor Wodka getrunken und Zigaretten geraucht hatte. »Eine neue Handy-App für ein soziales Netzwerk, entwickelt von Noah Glass (und seinem Team)«, schrieb Om.
Ev versuchte hinterher, die Darstellung in der Presse richtigzustellen, aber es war zu spät. Damals ahnte Noah es zwar noch nicht, aber seine Medienpräsentation im Alkoholrausch sollte schwerwiegende Folgen haben.
Die grünen Parkbänke
Der South Park war im Dunkeln gespenstisch still. Auf den Schaukeln spielten keine Kinder. Die grünen Bänke waren leer. In den schuhkartonförmigen Häusern rund um den Park brannten keine Lichter, Cafés, Restaurants und Büros hatten längst geschlossen. Die einzige Ausnahme war Haus Nummer 164, wo gedämpftes gelbliches Licht durch die quadratischen Fenster auf die Straße drang.
Drinnen tickten die Wanduhren leise über Mitternacht hinaus. Im hinteren Teil des Gebäudes, jenseits der leeren Schreibtische mit den dunklen Computermonitoren, saß Noah allein, wie es inzwischen an den meisten Abenden der Fall war.
Es hatte sich zu einer abendlichen Routine entwickelt. An manchen Abenden weinte er, während er große, kunstvolle Wandgemälde schuf. Andere Male machte er Musik, ließ seine Finger über die scheppernden Gitarrensaiten gleiten und sang melancholische Lieder. Oft sang er Liebeslieder in seine Webcam, wobei ein Hut mit dunkler Krempe seine feuchten Augen verdeckte.
Seine Ehe war im Grunde am Ende; sein Start-up, Odeo, war ein verwesender Leichnam. Seine Beziehung zu seinen engsten Freunden, die zugleich seine Kollegen waren, lag ebenfalls in Scherben.
Also tat Noah, was er am besten konnte. Er suchte Trost im magischen Internet. Er sprach in seine Webcam. Er schrieb in sein Blog und natürlich auf Twitter.
Noah nutzte Twitter genau für den Zweck, den er erhofft hatte: als Mittel gegen Einsamkeit. Er hatte das Konzept lange vor jedemanderen begriffen: »Es kann alles sein, was du willst«, hatte er einige Tage zuvor in seinem Blog geschrieben. »Die Tatsache, dass ich erfahren konnte, was meine Freunde in jedem Augenblick des Tages taten, gab mir das Gefühl, ihnen näher verbunden und, ganz ehrlich, weniger einsam zu sein.« Leider hatte sich aber seine Hypothese als falsch erwiesen, und Freunde, die weit weg waren, linderten seine Traurigkeit nicht. Deshalb verkroch er sich Abend für Abend allein und unerwünscht hinten im Büro.
Seine gegenwärtige Lage hatte er sich weitgehend selbst zuzuschreiben.
Seit Anfang Juni unterstützte Crystal Twitter in der Kundenbetreuung, da sie darin Erfahrung hatte, und beantwortete Fragen früher Nutzer. Damals war der Dienst noch geheim, aber Mitarbeiter durften engen Freunden und Verwandten Zugang als Gast verschaffen.
Am 5. Juli um die Mittagszeit fragte Dennis Crowley, ein bekannter Unternehmer und Chef des Internetportals Dodgeball, das Google kürzlich übernommen hatte, in einer E-Mail an, ob er sich bei Twitter anmelden könne. Crystal, die keine Ahnung hatte, wer Crowley war, schickte ihm unbekümmert einen Zugangscode, der sein Nutzerkonto aktivierte. Als Noah kurz darauf Dennis’ Namen und den üblichen ersten Tweet, »just setting up my twttr«, auf seinem Computermonitor sah, stürmte er wütend aus seinem Büro wie ein Wrestler in den Ring.
»Was zum Teufel geht hier vor«, brüllte er, worauf sämtliche Köpfe sich ihm aufgeschreckt zuwandten. »Wieso haben wir Dennis Crowley einen Zugang gegeben?«
»Ich weiß nicht, wer er ist …«, sagte Crystal und schaute Noah erschrocken und eingeschüchtert an.
Noah steigerte sich in einen Wutanfall hinein. »Du hast ja keine Ahnung, was du da gemacht hast«, brüllte er und rannte hin und her. Crystal brach in Tränen aus.
»Beruhige dich, Noah«, redeten Kollegen auf ihn ein. »Reg dich nicht so auf. Das ist doch nicht so schlimm.«
»Das bedeutet Krieg!«, schrie Noah, als Jack vergeblich versuchte, ihn zu besänftigen. »Das bedeutet Krieg, verdammt! Er ist unser Feind. Wir brauchen einen Schlachtplan. Sie werden uns angreifen; wir müssen sie vernichten.«
Alle bemühten sich, Noah zu beschwichtigen, aber er tobte panisch weiter und stürmte schließlich in sein Büro.
Ein paar Tage
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