Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
die Zahl der Besucher auf der Internetseite bis Ende März vervierfacht und Anfang April die Millionengrenze überschritten. Bislang habe Twitter keine Einnahmen, aber das käme später, erklärte er, »wahrscheinlich durch Werbung oder ein neuartiges Geschäftsmodell«. Vorerst bestreite Ev die Kosten für den laufenden Betrieb.
Jack faltete die Hände auf dem Tisch und sagte kaum etwas. Er war nervös, bemühte sich aber, Selbstbewusstsein auszustrahlen, was allerdings bei den anderen im Raum nicht ankam. Er schaute lediglich zu, während Ev Bradley durch den Twitter-Garten führte. Das Gespräch wandte sich schließlich der Frage zu, was Twitter eigentlich sei.
»Es ist also ein soziales Netzwerk«, fragte Bradley.
Es wurde still im Raum.
Obwohl der Dienst nun schon seit nahezu einem Jahr existierte, gab es keine schlüssige Antwort auf diese Frage. Selbst nach South by Southwest im März hatte Twitter weiter ein Eigenleben entwickelt und wurde nicht nur für persönliche Mitteilungen, sondern auch zur Verbreitung von Nachrichten genutzt. Computerfreaks waren geradezu besessen von dem Dienst, nutzten ihn aber vorwiegend, um über sich selbst zu schreiben. Andere Nutzer und Firmen verwendeten ihn anders. Große Nachrichtenmedien – darunter die New York Times , der Dow Jones und das Blognetzwerk Defamer – hatten sich bei Twitter angemeldet und verbreiteten Neuigkeiten, Lokalnachrichten und Klatsch. Mittlerweile gab es einen falschen Bill Clinton, einen Homer Simpson und einen Darth Vader, die witzige Tweets schickten. Einige »echte« Celebritys hatten sich ebenfalls angemeldet. Die Schauspielerin Janina Gavankar, die in der Fernsehserie The L Word – Wenn Frauen Frauen lieben mitgewirkt hatte, war die erste Prominente, die twitterte – allerdings hatte Biz einige Stunden lang versucht herauszubekommen, ob die Anmeldung tatsächlich von ihr oder von einer Schwindlerin stammte. Der amerikanische Präsidentschaftskandidat John Edwards schickte Tweets zu seiner Wahlkampagne. Unter den Twitter-Nutzern gabes auch »Dinge«: Feuerwehrwachen, Polizeifunk, Baseballspiele, Lebensmittellaster. Aber selbst bei dieser Flut unterschiedlicher Nutzer und Nutzungen begriff offenbar niemand bei den Medien, was Twitter eigentlich war. Manche sprachen von »Hipster-Narzissmus«, »Selbstbespiegelung«, »Nabelschau« oder »Egoismus«, und nicht wenige, die Twitter ausprobiert hatten, bezeichneten es als »totale, verdammte Zeitverschwendung«.
Aber die Frage brachte Jack erstmals dazu, sich am Gespräch zu beteiligen. Er führte einen Blogpost an, den Fred Wilson Ende April geschickt hatte. »Welche Rolle wird Twitter genau spielen?«, hatte Fred darin zum Platz des Dienstes im zukünftigen Internet gefragt. »Es wird der Status-Rundfunk des Internets sein.« Und so erklärte Jack nun: »Ich sehe Twitter als Grundversorger. Als Rundfunksystem für das Internet.« Er legte seine Vision für Twitter dar und beschrieb den Dienst als etwas »wie Elektrizität«. Das alles verwirrte Bradley, der sich verblüfft über die Vorstellung, eine Social-Media-Firma als Grundversorger zu sehen, im Raum umschaute.
Gegen Ende der Besprechung schüttelten sich alle die Hand, und Bradley begleitete sie hinaus. Er dankte ihnen, dass sie gekommen waren, schaute Ev an und sagte: »Wir hören bald voneinander.«
Auf dem Rückweg in ihr Büro am South Park 164 fragte Ev: »Wie war euer Eindruck, Jungs?« Es herrschte eine gewisse Erregung über das Meeting.
»Mir gefällt Brickhouse«, sagte Biz. »Es sieht aus, als ob es Spaß machen würde, da zu arbeiten.«
»Das finde ich auch«, bestätigte Goldman und fragte: »Und was ist der Minimalpreis, zu dem wir verkaufen?«
»100 Millionen«, wagte Ev sich vor. Wenn sie zu diesem Preis verkaufen würden, bekämen Biz und Goldman jeder etwa 2 bis 3 Millionen Dollar. Für den größten Teil der Weltbevölkerung wäre eine solche Summe wie ein Hauptgewinn im Lotto, aber im Silicon Valley wirkten eine 1 Dollar eher wie eine Vierteldollarmünze, die man zwischen den Sofakissen fand. Für Ev bedeutete eine solche Summe, dass er mehr Geld und Möglichkeiten hätte, Fremdkapitalaufzunehmen, um weiterhin mit Obvious Corporation Start-ups auf den Weg zu bringen.
Aber in Anbetracht des Wachstums und der Aufmerksamkeit, die Twitter erlebte, dachte Ev daran, seine Ideenschmiede auf Eis zu legen und sich auf den 140-Zeichen-Dienst zu konzentrieren. Vor dem Yahoo!-Meeting hatte er in einer E-Mail an Goldman
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