Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
unterstellt war, obwohl er Hauptinvestor der Firma und Vorsitzender des Verwaltungsrats war. Und nun waren sie zwei Menschen, die miteinander stritten.
So war es durchaus nicht immer gewesen. Eine Zeit lang hatten sie sich sehr nahe gestanden und durch Noahs Weggang, den gewonnenen South-by-Southwest-Preis und manches Glas Bier oderWein – die beiden halfen, lockerer zu werden – eine enge Beziehung geknüpft. Ende 2006 hatten Ev, Jack und Sara sogar an Saras Geburtstag gemeinsam Fallschirmsprünge gewagt, sich aus einem Flugzeug gestürzt und waren mit 200 Stundenkilometern auf die Erde zugerast – eine Erfahrung, die sie zusammengeschweißt hatte. Sie hatten sogar gemeinsam gezeltet. Aber so schnell sie sich angefreundet hatten, war ihre Kameradschaft auch zerbrochen.
Aber drängender als Evs und Jacks Einschätzungen, wie gut die Firma geleitet wurde, waren ihre grundlegend unterschiedlichen Ansichten, was Twitter war und wie man den Dienst nutzen sollte. Jack hatte Twitter immer als Ort für aktuelle persönliche Mitteilungen gesehen, um anderen zu sagen, wo er gerade war und was er gerade tat. Als Ort der Selbstdarstellung. Der schüchterne Ev, geprägt durch die Zeit, als er Blogger aufgebaut hatte, sah Twitter dagegen als Möglichkeit, mitzuteilen, wo andere waren und was andere gerade machten.
Für Ev war es ein Weg, mitzuteilen, was um einen herum geschah: ein Ort für Neugier und Informationen. Diese Diskussion war entstanden, als Twitter sich nach dem Erdbeben einige Monate zuvor als Nachrichtenquelle erwiesen hatte.
»Wenn es an der Straßenecke brennt und du darüber twitterst, sprichst du doch nicht über deinen Zustand während des Brandes«, argumentierte Ev in einer ihren endlosen Debatten über dieses Thema. »Du twitterst: An der Ecke Third Street und Market brennt’s.«
»Nein. Du sprichst über deinen Zustand, während du den Brand beobachtest«, entgegnete Jack. »Du aktualisierst deinen Status und sagst: Ich beobachte einen Brand an der Ecke Third Street und Market.«
Vielen mag diese Debatte wie Wortklauberei erscheinen. Aber ihr lagen zwei völlig unterschiedliche Nutzungsweisen von Twitter zugrunde. Ging es um mich oder um dich? Um mein Ego oder um andere? In Wirklichkeit ging es um beides. Das eine hätte ohne das andere niemals funktioniert. Eine simple Status-Aktualisierung in 140 Zeichen wäre zu flüchtig und egozentrisch gewesen, um sichhalten zu können. Ein Nachrichtendienst mit 140-Zeichen-Meldungen war nichts weiter als eine Nachrichtenagentur. Auch wenn es ihnen nicht klar war, machte erst beides zusammen Twitter zu etwas Besonderem.
Unterschiedliche Auffassungen vertraten Ev und Jack auch, was die Bedeutung von Mobilfunk und Internet anging. Jack bestand darauf, sich auf den Ausbau der Mobilfunkseite zu konzentrieren, in die Entwicklung neuer SMS-Tools zu investieren, um in weiteren Ländern die Nutzung des Dienstes über SMS zu ermöglichen, und Energie in die Entwicklung von Handy-Apps zu stecken. Ev orientierte sich stärker auf das Internet und drängte das Team ständig, die Twitter-Webseite auszubauen. Zudem befürchtete er, es könnte die Firma ruinieren, wenn sie den Schwerpunkt auf SMS legte. Jeden Monat musste Twitter Mobilfunkanbietern Zigtausende Dollar an SMS-Gebühren zahlen. Und die Rechnungen wurden von Monat zu Monat höher.
Einig waren Ev und Jack sich nur darin, dass sie nur in sehr wenigen Punkten einer Meinung waren.
Jack war überzeugt, er sei gewachsen und habe sich verändert. Er hatte sogar angefangen, sich auch äußerlich der Rolle eines Vorstandschefs anzupassen, hatte seine Haare schneiden lassen, trug sein Hemd nun in der Hose und hatte seine bisher revolutionärste Maßnahme getroffen, sogar den Nasenring herauszunehmen, den er Jahre zuvor lieber mit einem Pflaster überklebt hatte, als ihn auf Anweisung eines Vorgesetzten zu entfernen. Sein Wunsch, Twitter zu führen, war stark genug, diese und andere Konzessionen zu machen, aber Ev genügte das alles nicht.
Auch Jacks Verhältnis zu einem weiteren Twitter-Mitarbeiter hatte sich verschlechtert. Im Frühsommer war Crystals Beziehung zu ihrem Freund in die Brüche gegangen. Obwohl Jack mittlerweile die Wahl unter einer Menge Mädchen hatte, hing er immer noch seiner ersten Liebe bei Odeo nach. Er hatte vorgehabt, mit Crystal auszugehen und etwas Besonderes zu organisieren – sich mit ihr vielleicht einen alten Film anzusehen, der ihn vom freundschaftlichen Verhältnis auf Kuss-Terrain
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