Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
Zwei verschiedene Jack Dorseys.
Häufig brechen Dinge nicht sofort, sondern biegen sich erst durch. Beziehungen zerbrechen nicht einfach, sondern fangen langsam an, sich in eine andere Richtung zu wölben und zu deformieren, bis es schließlich zum Bruch kommt. So erging es der Beziehung zwischen Ev und Jack seit einiger Zeit, sie bog sich wie nasses Holz und schwankte zwischen gut und schlecht, aber als die beiden sich nun im Konferenzraum einander gegenüber setzten, stand sie kurz vor dem endgültigen Bruch.
Ohne Einleitung warf Ev den Fehdehandschuh.
»Du kannst entweder Schneider sein oder Twitter-Chef«, sagte er. »Aber du kannst nicht beides sein.«
Jack arbeitete zwar hart und war morgens lange vor allen anderen im Büro, aber häufig verließ er es gegen 18 Uhr, um einer seiner Freizeitbeschäftigungen nachzugehen. Eine Zeit lang hatte er Zeichenkurse besucht und Akte gezeichnet. Er hatte Hot-Yoga-Kurse belegt und war nach der Arbeit losgezogen, um seinen Körper zum Hund zu verdrehen und die Anspannung des Tages auszuschwitzen. In einer örtlichen Modeschule hatte er zudem nähen gelernt, da er immer noch eine spätere Karriere in der Modebranche in Erwägung zog. Er nähte gern und machte sich mit Begeisterung an die erste Aufgabe des Kurses: einen Glockenrock zu schneidern. Sein Ziel war, eine dunkle Jeans zu nähen und vielleicht sogar eines Tages für seinen Lieblings-Jeanshersteller zu arbeiten, Earnest Sewn in New York City.
Jacks private Kontakte waren ebenso wie Twitter sprunghaft gewachsen. Leute hatten angefangen, ihn zu Partys – vielen Partys – einzuladen. Reiche Promis wie Ron Conway nahmen ihn mit zu Baseballspielen. Mädchen warfen ein Auge auf ihn, unter anderem eine Blondine von Mitte zwanzig, Justine, die in der IT-Szene für ihre Dates mit diversen namhaften Start-up-Gründern bekannt war.
Außerdem bekam Jack einen ersten Vorgeschmack auf lokale Berühmtheit in San Francisco, da in Medienberichten über Twitter und in Blogbeiträgen über ihn geschrieben wurde. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde der unscheinbare Junge aus St. Louis in Cafés von Internetbegeisterten erkannt und mit Liebeserklärungen an Twitter (wenn der Dienst denn funktionierte) überhäuft. Twitter-Nutzer erhielten mittlerweile ein Ranking anhand der Zahl ihrer Follower. Und wer eignete sich besser zum König der Nerds als der erste Twitter-Nutzer: Jack Dorsey.
Es gab allerdings einen, der nicht zu Jacks größten Fans gehörte: Ev. Ev fand, Jack arbeite nicht genug. Er sei nicht lange genug im Büro. Sei durch seine Hobbys abgelenkt. Sei zu lasch in seinem Führungsstil. Und und und.
Wenn Ev im Büro war, verlangte er Ruhe. Auf Scherze und Geplauder von Kollegen reagierte er häufig mit einem langgezogenen»Psssst!«. Biz, der unentwegte Spaßvogel, tat diese Aufforderungen meist mit einem Lachen ab, aber Jack nahm sie persönlich.
Jack hatte sich um ein freundschaftliches Verhältnis zu seinen Mitarbeitern bemüht und regelmäßig Kinoabende und Abendessen organisiert. Außerdem hatte er ein neues Ritual eingeführt, die sogenannte Tea Time: Jeden Freitagnachmittag traf sich die Twitter-Belegschaft, um aktuelle Neuigkeiten aus der Firma zu besprechen. Eigentlich sollten alle bei diesem Meeting Tee trinken, aber sie kamen mit Bier und Spirituosen.
Ev lag nichts an Tea Time und Kinoabenden. Er machte sich Sorgen um die Firma. Eine Firma, die in Schwierigkeiten steckte.
Die ständigen Ausfälle der Internetseite forderten allmählich ihren Tribut. Seit einigen Wochen war die Zahl der Neuanmeldungen leicht rückläufig, und Ev hatte in E-Mails Alarm geschlagen.
»Du verlässt das Büro zu früh«, sagte Ev. »Du gehst zu deinen Nähkursen, zum Yoga und amüsierst dich, dabei haben wir diese ganzen Probleme mit der Webseite, und das Wachstum geht zurück.« Ev führte weiter Jacks Fehler auf. Jack war wütend, erwiderte aber nichts. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte, antworten konnte. Konnte ein Vorstandschef mit einem Verwaltungsratsvorsitzenden streiten?
Es war nicht klar, was Jack zu Ev sagen durfte und was nicht, da ihre Beziehung und die Machtdynamik zwischen ihnen voller Drehungen und Wendungen war. Angefangen hatten sie als Arbeitgeber und Arbeitnehmer, als Jack Evs Angestellter war, dann hatten sie als Freunde und Mitbegründer gemeinsam Twitter aufgebaut. Schließlich hatten sie die Rollen des Chefs und des Angestellten getauscht, als Jack Firmenchef wurde und Ev ihm praktisch
Weitere Kostenlose Bücher